K.
Kritische Reflexionen über Sprache und Vokabular:
Literarische Texte über Wörterbücher
Wörterbücher: Lexikographik der Wortbestände

Ein eigenes Kapitel haben Wörterbücher und Vokabularien im Kontext des Themas literarische Lexikographik aus mehreren Gründen verdient:

  • Erstens stellen sie Sprachliches dar oder beziehen sich allgemeiner gesagt auf Sprachliches. Damit thematisieren sie ihr eigenes Darstellungsmedium, ihre eigenen Darstellungsmittel: die Wörter, die Sprache (als Bestand von Ausdrucksmitteln).
  • Zweitens sind sie insofern als autoreflexive Texte und als Dokumente metaliterarischer Reflexion lesbar: Literarische Texte sind ja Sprach-Kunstwerke.
  • Drittens gehören literarische Wörterbücher zu den historisch frühesten Beispielen der literarischen Mimikry an sachkundliches Schreiben. (Literarische Mimikry an sachkundliche Darstellungen gibt es übrigens keineswegs nur in ›lexikographischer‹ Form – und überdies sind die Grenzen zwischen literarischem und sachkundlichem Schreiben ohnehin nicht klar zu ziehen. So etwa imitiert ja Swift in »Gulliver’s Travels« die Form des Reiseberichts, und historische Romane gleichen sich vielfach an historiographische Schreibweisen an. Im Fall lexikographisch angelegter Text ist es aber besonders evident, daß die literarische Darstellung sich einer Strategie bedient, die zunächst aus anderen Funktionskontexten stammt.)
  • Viertens lassen sich gerade von Beispielen literarischer ›Wörterbücher‹ ausgehend verschiedene Poetiken erschließen und vergleichend charakterisieren (was mit Grund Nr. 2 zusammenhängt): Die Art, wie Verfasser literarischer ›Wörterbücher‹ mit dieser Form arbeiten, läßt Rückschlüsse auf ihre Poetik zu – und das Spektrum literarischer Wörterbücher steht für ein Spektrum von Poetiken.

Vorwegnehmend einige Stichworte zu solchen ›Poetiken‹:

  • Für manche Verfasser ist die Form des Lexikons ein Modell für satirisches Schreiben. In diesem Fall versteht sich Literatur implizit als zeit- und gesellschaftskritische Instanz – und konkreter: als sprach- und diskurskritische Instanz.
  • Andere Autoren verwenden wörterbuchanaloge Schreibweisen, um mit sprachlichen Beständen phantasievoll zu experimentieren, Sprachliches zu verfremden, zu verwandeln, Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. In diesem Fall versteht Literatur sich implizit als Arbeit an der Sprache, als Kunst des Verfremdens und des Konventionsbruchs.
  • Wiederum andere orientieren sich am Wörterbuch, um sich möglichst subtile Mittel zur Darstellung der Wirklichkeit zu erarbeiten. Hier versteht sich Literatur implizit als ein sprachlicher Dienst an den Dingen.

In jedem Fall ist der Schriftsteller, der sich mit Wörtern befaßt, implizit damit beschäftigt, sein Repertoire an Ausdrucksmitteln zu überprüfen und ggf. zu erweitern.