Michael Ende, Die unendliche Geschichte. Das Phantásien-Lexikon von Roman und Patrick Hocke, Stuttgart 2009.
Es dürfte eine Marketing-Strategie sein: auf dem Buchumschlag wird der Name der Lexikon-Verfasser gar nicht genannt. Die Angabe: »Michael Ende / Die unendliche Geschichte / Das Phantásien-Lexikon«, ergänzt um das Bildmotiv der zwei kreisförmigen Schlangen, suggeriert, es handle sich um ein Buch von Michael Ende selbst. Hat der Verlag befürchtet, die Fantasy-Leser abzuschrecken, wenn die Autoren genannt werden und der Umschlag das Lexikon als ›Sekundär‹-Text ausweist.
Zunächst informiert ein einleitender Text über die Bedeutung der Konstruktion Phantásiens, über Endes literaturgeschichtliche Stellung, seine Themen, die Bedeutung der Imagination für seine Poetik, sein Interesse am Unterbewußten und an Traumbildern. (»Phantásien – sich orientieren in einem Reich ohne Grenzen«, 11–18). Es folgen die alphabetischen Artikel. Diese sind durch Verweis-Pfeile untereinander virtuell vernetzt. Im Klappentext ist die Rede vom Wunsch der Leser, selbst nach Phantásien zu reisen, und das Buch behauptet von sich selbst, es öffne »die Tür nach Phantásien«. Als Intention ausgewiesen wird es damit, den Leser in die ›phantásische‹ Welt hineinzuziehen.
Die Verbindung von Reisemetaphorik und Informationsversprechen ist typisch für den Duktus des ganzen Buchs: Dieses erhebt einerseits den Anspruch, sachhaltige Informationen – Wissen über den imaginären Kosmos Endes – zu liefern, und andererseits möchte es gern an der Erzeugung von Imaginationen teilhaben, ist daher weitgehend in ›phantásischer‹ Form geschrieben – so als habe man es nicht mit der Erfindung eines Schriftstellers, sondern mit einer wirklichen Welt zu tun, die man ›bereisen‹ kann und für die Mann einen ›Reiseführer‹ braucht. (Der Klappentext informiert den Leser über die persönliche Bekanntschaft der beiden Verfasser mit Michael Ende.)
Einerseits wird im Sachbuch-Stil über Quellen Endes berichtet, werden Quellen und andere Referenzen genannt und zitiert, der Roman samt seinen Figuren und Orten wie ein literarisches Werk beschrieben. Andererseits sprechen die Artikel über die Elemente der Welt ›Phantásien‹ immer wieder so, als handle es sich um reale Gegebenheiten (wobei sie paraphrasieren, was Ende selbst an Informationen gibt, oder sich daran doch orientieren).
Man erfährt so über die Figuren, Orte, Bräuche und Lebensformen, die Gesetze und Spielregeln Phantásiens vieles, analog zur Tolkien-Lexikographik. Aber es geschieht doch mehr – und insofern leistet das Lexikon gleichzeitig mehr und weniger als das, was der Klappentext verspricht: den Leser nach Phantásien reisen zu lassen. Denn erstens nehmen sie anschließend an den inhaltlichen Informationen über die Gegenstände der einzelnen Artikel immer wieder die Rolle von Kommentatoren ein; berücksichtigt wird dabei etwa die Rezeptionsgeschichte, und oft kommen Deutungsvorschläge zur Sprache. Zweitens gibt es neben den Artikeln, die auf die phantásische Welt bezogen sind, auch andere, welche allgemeinen Aspekten und Fragen gelten, die sich mit dieser Welt verbinden – »Kommentar-Artikel« wenn man so will. Ein Beispiel bietet der Artikel »Ekapismus« Dieser ist nicht aus der Sicht von jemandem verfaßt, der sich in Phantásien befindet und dessen Gegebenheiten als primäre Wirklichkeit beschreibt, sondern aus der reflexiven Distanz, und er betrifft Endes Absichten, Endes Haltung, Endes Rezeption. Der Artikel thematisiert den Ende entgegengebrachten Eskapismusvorwurf, weist diesen – in den Spuren Endes – zurück und erinnert an Endes kritische Einstellung gegenüber den Postulaten einer ›littérature engagée‹ (79).
Und drittens findet sich in die Artikel eingeschoben eine ganze Reihe von Zitaten, die in einem Anmerkungsteil nachgewiesen werden. Die überwiegende Zahl stammt von Michael Ende, und diese Zitate beziehen sich allesamt auf Endes Poetik.