G.
Getilgtes, Gebrauchtes, Abgenutztes, Ausgestorbenes, Verlorenes: Lexikographik des Verschwindens
Zeit für ein »Letztes Lexikon«?

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Die Zeit sei gekommen, »ein Letztes Lexikon zu verfassen«, so erklären die Herausgeber eines Lexikons, das sich selbst das »letzte« nennt, in ihrem Vorwort über die (aus ihrer Sicht endende) »Epoche der Enzyklopädien« (Bartens / Halter / Walther 2002, 20). Es ist genaugenommen das Projekt eines Konversationslexikons im Stil der Kompendien des 19. Jahrhunderts, das aus Sicht der Herausgeber des »letzten Lexikons« als anachronistisch erscheint: das Unterfangen, in lexikographischer Form eine Übersicht über die Bestände menschlichen Wissens zu geben und dabei vier Grundanforderungen zu entsprechen: »Aktualität, Objektivität, Selektivität und Präzision« (Bartens / Halter / Walther 2002, 19). Das »Letzte Lexikon« basiert auf der Auswertung verschiedener Konversationslexika älteren Stils, insbesondere einer ganzen Reihe von Brockhaus-Lexika, die auch ausdrücklich aufgelistet werden (1896-1808, 1812, 1819, 1827, 1833, 1837, 1843, 1851, 1864, 1875, 1882, 1882, 1892, 1928, 1952, 1967, 1996), diverser Auflagen von Meyer-Lexika (1839-155. 1872, 1902, 1908, 1936, 1971), sowie mehrere andere (älterer) Lexika, darunter Zedlers »Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste« (Halle/Leipzig 1732-1754).

»Wir haben für unser Buch Konversationslexika und einige andere Lexika aus den letzten zweihundertfünfzig Jahren durchgesehen, vor allem diverse Brockhaus- und Meyer-Ausgaben. Panoptische Überblicke darf der Leser aber nicht erwarten. Schon um die begrifflichen und systematischen Ausdifferenzierungen, die politischen, sozialen, alltagssprachlichen Um- und Neubewertungen eines einzigen Haupt- und Staatsworts wie ›Aufklärung‹ ›Gesundheit‹ oder ›Bildung‹ auch nur einigermaßen darzustellen, hätte es dickleibiger Monographien bedurft. Das ›Letzte Lexikon‹ kann und will nicht mit den Heerscharen der Spezialisten und der profunden Sachkenntnis seriöser Enzyklopädien konkurrieren. Es ersetzt keinen einzigen Band eines ordentlichen Lexikons, flüstert aber allem Wissen und allen Wißbegierigen ein leises Memento mori ins geneigte Ohr. Wir gleiten über einen unermeßlich großen Ozean gefrorenen enzyklopädischen Wissens, bohren, mit stets unzulänglichen Mitteln, hier und da neugierig ein paar Löcher, um Trouvaillen, versunkene Schätze, Strandgut und den Bodensatz der Geistesgeschichte ans Tageslicht zu fördern. Als Arrangeure und Collageure bedienten sich die Autoren dabei aller Mittel der Kritik, Ironie und Polemik, um eingefrorene Wissensbestände aufzutauen und für die Gegenwart flüssig zu machen.« (Bartens / Halter / Walther 2002, 21)