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Das Phantásien-Lexikon
Sachbuch und Fortsetzung der Fiktion mit lexikographischen Mitteln: Ein Lexikon über Michael Endes »Phantásien«

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Wenn im Lexikon den Artikeln, die Phantásien aus der ›internen‹ Perspektive beschreiben, solchen Artikeln gegenüberstehen, die – wie »Absichtslosigkeit, die« – aus einer reflexiven, also distanzierten Position auf den Entwurf Phantásien schauen, dann korrespondiert diese Dopplung der Beobachtungsebenen der Konstruktion einer doppelten Wirklichkeit in Endes Roman: Hier begegnen ja zwei Welten einander: eine Leser-Welt und eine gelesene Welt. In der »Unendlichen Geschichte« sorgt die erzählte Geschichte dafür, daß beide Welten einander berühren, einander bespiegeln, einander schließlich durchdringen. Im »Phantásien«-Lexikon ermöglicht die Form des in Artikel gegliederten Lexikons eine entsprechende Durchdringung zweier Ebenen der Beobachtung (und damit zweier Ebenen der beobachteten Wirklichkeit).

Die weitere Artikelfolge bleibt diesem Konzept eines Wechsels zwischen erster und zweiter Beobachterebene verpflichtet. So bekommt der Leser zunächst die »Acharai« und die Blumendame »Aiuóla« vorgestellt, als handle es sich um wirkliche Figuren – wobei der letztere Artikel aber auch bereits eine Auslegung der Dame vornimmt und abschließend darauf hinweist, woher Ende seine Inspiration bezog: von Gemälden Arcimboldos, die aus Früchten und Gemüse zusammengesetzte Figuren darstellen (23). Unter dem Stichwort »Alchimie« wird Endes Affinität zu einem ›magischen Weltbild‹ erwähnt und von seinen Rückgriffen »auf den Bilderschatz solcher Weltbilder« gesprochen. Zunächst beschrieben und dann als Chiffren – und zwar letztlich als poetologische Chiffren – ausgelegt werden im folgenden die »Alte-Kaiser-Stadt« und der »Alte vom Wandernden Berge«. Der »Al’Tsahir«-Stein wird zum Anlaß eines Hinweises auf die Märchenwelt von 1001 Nacht und auf die Häufigkeit des Motivs magischer Hilfsmittel in Fantasyliteratur (27). Als Vorbild für »Amargánth« erscheint ein (poetisch stilisiertes) Venedig. Das »Änderhaus« – das innen größer ist als außen – erscheint als Inbegriff eines Raumes, in dem »die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt verschwimmen« (32). Als phantásische Wesen porträtiert werden »Aquil und Muqua« (32f.). Darauf folgt ein Artikel zum Stichwort »Archetypen«, in dem die Beziehungen von Endes Welt zu C.G. Jungs Archetypenlehre erklärt werden (34f.).

Und so weiter – durchs ganze Alphabet hindurch. Diesem hatte Ende selbst im Roman insofern besondere Aufmerksamkeit gewidmet, als er dem Modell des Abecedarius gemäß die Kapitel nacheinander mit den Buchstaben des Alphabets beginnen ließ (die noch dazu graphisch in Form ganzseitiger Initialen an die Kapitelanfänge gesetzt sind). Patrick und Roman Hockes Lexikon stellt die Buchstaben des Alphabets auf den inneren Einbandseiten dar und lässt sie insofern den Textteil umrahmen – abgestimmt auf die alphabetische Struktur des ganzen Buchs.