Literarische Autoren können für Theoretiker des Wissens, der Wissenschaften und der Wissensdiskurse wichtige Bezugspunkte bieten, wo über Wissen, seine Darstellung und die Bedeutung dieser Darstellung reflektiert wird. Ein solcher Autor ist vor allem Jorge Luis Borges. Auf die prägende Bedeutung – und auf die Kontingenz! – der einem Lexikon zugrundeliegenden und von ihm widergespiegelten Ordnungsprinzipien hat Michel Foucault mit seinem seinerseits vielzitierten Vorwort zu »Die Ordnung der Dinge« (»Le mots et les choses«) hingewiesen. Foucault zitiert dabei Passagen aus einer von Jorge Luis Borges erwähnten (fingierten) »chinesischen Enzyklopädie«, wo verschiedene Wesen in einer Weise aufgelistet werden, die dem Leser abstrus erscheinen muß, weil sie konventionellen Vorstellungen über Struktur und Funktion solcher Auflistungen widerspricht, und wo durch ihre offensichtliche Willkür des Reihungsverfahrens letztlich auf die Kontingenz aller Ordnungssysteme aufmerksam gemacht wird. Die Welt ist so, wie man sie für sich und andere segmentiert, sortiert, kategorisiert, klassifiziert.
Foucault spricht von der »schiere(n) Unmöglichkeit, das zu denken« (Foucault 1974, 17). Nur in einem sprachlichen Raum seien solche Nachbarschaften möglich.
Borges’ literarische Texte stehen zu weiten Teilen im Zeichen des Versuchs, solch sprachlich-literarische Räume zu schaffen, in denen das Heterogene und Unvergleichbare nebeneinandertreten. Dies gilt auch und gerade für diejenigen Bücher, in denen er lexikographische Ordnungsverfahren aufgreift und scheinbar übernimmt. Denn die Praxis des Ordnens macht dabei jeweils evident, daß sie den geordneten Inhalten und Gegenständen äußerlich bleibt: beruhend auf kontingenten Etikettierungen, in ihrer Abfolge abhängig vom jeweiligen Sprachraum – und völlig ungeeignet, die dargestellten Dinge in ihrer Rätselhaftigkeit und Unergründlichkeit zu erhellen. Was bleibt, ist die Stiftung von Nachbarschaften – über räumliche, zeitliche, kulturelle und kategoriale Grenzen hinweg – als der ostentative Versuch, etwas zu katalogisieren, das im Katalog dann wie ein Fremdkörper wirkt. Damit aber eben auch als ein Fremd-Körper, dessen tiefe Befremdlichkeit dort besonders hervortritt, wo er in der Gesellschaft von Nachbarn auftritt, mit denen er außer seinem kontingenten Wohnsitz nichts oder wenig verbindet.