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Reisen nach Mittelerde. Karten, Atlanten, Sprachführer und Enzyklopädien imaginärer Reiche bei Tolkien
Tolkien und Borges
  • David Day: Tolkien: Die illustrierte Enzyklopädie. Aus d. Engl. v. Heinrich Wellmann, St. Gallen 2002. Orig.: »Tolkien: The illustrated Encyclopedia«. London 1992.
    Gegenstand der Darstellung ist die Welt Tolkiens unter historischem, gesellschaftlichem und ›naturkundlichem‹ Aspekt sowie die Biographien wichtiger Figuren. Days Enzyklopädie hebt den schöpferischen Charakter der Tolkienschen Arbeit hervor – und den Umstand, daß Tolkien selbst auch in Betracht zog, daß sich andere an der Ausgestaltung seiner Welt beteiligen könnten. Ihrem eigenen Selbstverständnis nach dokumentiert die »Enyzklopädie« zusammen mit der Darstellung der Tolkien-Welt deren Ausgestaltung durch andere (bildende) Künstler (von Schriftstellern ist nicht die Rede!). Days Buch ist ein Schwellen- oder Hybrid-Phänomen zwischen Enzyklopädie (in teilweise alphabetischer Form) und Kunst-Buch.
  • David Day: Tolkien’s Ring. Illustrated by David Lee (1994), Neuausgabe: 2001.
    Hier ist die bildkünstlerische Gestaltung ebenfalls in den Vordergrund gerückt. Der Band enthält diverse Kapitel über Tolkiens Welt in ihrer Beziehung zu anderen mythisch-legendären Welten. Er enthält keinen lexikographischen Teil. Enzyklopädischen Charakter hat er insofern, als er darauf abzielt, die Welt Tolkiens umfassend zu porträtieren – unter Konzentration auf die Fabeln, insofern sie den Mythen und Fabeln verschiedener Kulturkreise ähnlich sind und mit ihnen verglichen werden können – und unter Konzentration auf die Figuren.
  • Robert Foster: Das große Mittelerde-Lexikon. Ein alphabetischer Führer zur Fantasy-Welt von J.R.R. Tolkien, dt. v. Helmut W. Pesch. 1. Aufl. 2002, 2. Aufl. 2003, Amerikan. Original 1971 etc.: The Complete Guide to Middle-earth.
    Gegenstand der Darstellung ist Tolkiens Welt insgesamt. Abgesehen vom einleitenden Paratext besteht das Lexikon ausschließlich aus einem alphabetischen Kompendium, das Erläuterungen zu Namen, Wesen, Dingen, Orten, Ereignissen etc. in Tolkiens Welt gibt. Die Artikel sind unterschiedlich lang, teilweise aber sehr kurz – wie Fremdwörterbuch-Erläuterungen.
  • Wolfgang Krege: Handbuch der Weisen von Mittelerde. Die Tolkien-Enzyklopädie. Mit Karten und Illustrationen von J.R.R. Tolkien. Stuttgart 1996, 24. Aufl. 2005. 228 Seiten.
    Das Vorwort schafft eine Rahmenfiktion: die »Weisen von Mittelerde« und ihr Wissen. Wenn auch in etwas raunendem Ton, verweist Krege hier auf ein Grundproblem der Historiographie (Kulturgeschichtsschreibung, politischer Geschichtsschreibung etc.) – und bestätigt damit, daß die Auseinandersetzung mit der fiktiven Welt Tolkiens dazu anregt, über Darstellungsformen der sogenannten wirklichen Welt nachzudenken. Was verdient bei einer historiographischen Darstellung Berücksichtigung; was kann, was muß dargestellt werden? Gleich mehrere Probleme stellen sich: erstens das der Unterscheidbarkeit von brauchbarer (›glaubwürdiger‹) Überlieferung (was ist Teil der Geschichte, was ist erfunden, gelogen etc.?), zweitens das der Kohärenz der Überlieferung (wie hängt eine überlieferte Mitteilung mit anderen zusammen?), drittens die Abhängigkeit aller Überlieferung von subjektiven Standpunkten – und viertens die Frage nach der Relevanz der Unterscheidung von fingierten und nichtfingierten Informationen für den Historiographen: Gehören nicht auch manche Fiktionen (kollektive Wunschvorstellungen etc.) mit zur Geschichte?
  • Karen Wynn Fonstad: Historischer Atlas von Mittelerde. Aus dem Amerikan. v. Hans J. Schütz. Stuttgart Klett-Cotta, 14. Aufl. 2008, (zuerst engl.: »The Atlas of Middle-Earth. Revised Edition«, Boston 1991; dt. zuerst 1994).
    Gegenstand der Darstellung sind die Räume des Tolkien-Kosmos, dargestellt unter Bezugnahme auf sein Gesamtwerk und verknüpft mit einer Darstellung der verschiedenen historischen Epochen. Das Buch enthält – geprägt durch die Idee eines historisierten Raums – eine Vielzahl von Karten sowie den dazugehörigen Legenden. Parallel dazu werden die Abschnitte der Geschichte von Tolkiens Welt zusammenfassend dargestellt. Wenn Fonstads These über die Veränderung der Tolkien-Arda von einer Scheibe zu einer Kugel zutrifft, dann ist Tolkiens Geschichte so konzipiert, daß sich in ihr die Geschichte (die historische Abfolge) von Darstellungsformen spiegelt; das ›Tolkien‹-Universum wäre demnach ein Universum, in dem sich an Darstellungsformen gebundene, von Darstellungsverfahren getragene und vermittelte Auffassungen von der Wirklichkeit spiegeln. (Anders gesagt: Während wir sagen würden, man habe sich die Welt früher als Scheibe, später als Kugel vorgestellt, konzipiert Tolkien eine Welt, die früher eine Scheibe, später dann eine Kugel war.) Die Geschichte seiner Welt korrespondiert also der Geschichte unseres Wissens von der Welt.
  • Tolkiens Geschöpfe. Fantasy von Marion Zimmer Bradley, Neil Gaiman, Ursula K. Le Guin und anderen. Hg. v. Franz Rottensteiner und Erik Simon. Originalausgabe. München 2003.
    Die hier zusammengestellten Texte sind in verschiedenen Originalsprachen verfaßt und für den Band übersetzt worden; die Zusammenstellung ist neu. Die Konzeption des Buchs betont den kreativen Aspekt von Enzyklopädistik: Andere Autoren schreiben an der Tolkien-Welt weiter, indem sie deren Bauelemente (hier: bestimmte Figurentypen) neu arrangieren. Die Gliederung des Bandes ist eine Art Modellanordnung für den Übergang von Lexikographik des Imaginären in die Erfindung neuer imaginärer Geschichten.