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Orpheus und das Wörterbuch – Poetische Sprachreflexion und Sprachexploration bei Francis Ponge
Poetische Erkundungen in und mit Wörterbüchern:
Francis Ponge

Francis Ponge: Das Notizbuch vom Kiefernwald und La Mounine. Deutsch von Peter Handke. Frankf./M. 1982. »Le Carnet du bois de pins« und »La Mounine ou Note après coup sur un ciel de Provence« erschienen zusammen erstmals 1952 in Ponges Band »La Rage de l'expression«. »Le Carnet« war fünf Jahre zuvor schon als Einzeltext erschienen. – In der Übersetzung Handkes liegt von Ponge außerdem vor: Francis Ponge: Kleine Suite des Vivarais. Salzburg/Wien 1988.

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Peter Handkes Übersetzung dieses zuerst 1947 in französischer Sprache erschienenen Werkes wurde 1982 publiziert. Ponges »Notizbuch« ist zugleich ein poetischer und ein poetologischer Text; es koppelt die Beschreibung von Dingen eng an die Reflexion über solche Beschreibung. Schon in seiner auf den 24. Mai 1941 datierten Vor–Notiz zum eigentlichen »Notizbuch« formuliert Ponge sein poetisches Programm: »Das Große Recht des Objekts anerkennen, sein unwandelbares Recht«. Es gelte, immer wieder »zurück[zu]kommen auf das Objekt selbst« (Pnge 1982, 7). Der Ausdruck: »›an‹ der Loire schreibe[n]« bekommt einen mindestens doppelten Sinn; dient er doch nicht nur der Lokalisierung des Schreibenden, sondern charakterisiert diesen zugleich auch als jemanden, der sich schreibend nahe »an« seinem Objekt aufhält, sich »an« diesem buchstäblich entlangschreibt. Das »Recht« des Objekts ist durchzusetzen gegen die Sprache und ihren Eigensinn. Zu entdecken wäre das »Rohe« am Objekt (Ponge 1982, 7). In den Dienst des Objekts selbst sollen alle poetischen Mittel gestellt werden.

»Kein Gedicht ist je ausgenommen von einer Nichtigkeitsbeschwerde seitens des Gedicht–Objekts, auch nicht von einer Anklage der Fälschung. / Das Objekt ist immer wichtiger, interessanter, rechts–fähiger (voll ausgestattet mit Rechten): es hat mir gegenüber keinerlei Pflicht, ich bin es, der im Blick auf es alle Pflichten hat. / […] ich darf auf eine poetische Form nie aus sein, nie dabei stehenbleiben – und doch ist diese ein notwendiger Moment im Verlauf meines Wissen–Wollens, weil sie ein Spiegelspiel ermöglicht, das gewisse verborgene Aspekte des Objekts zum Vorschein bringen kann. Der Zusammenstoß der Wörter, die verbalen Analogien sind eines der Mittel, das Objekt zu erforschen. / Niemals versuchen, die Dinge zu arrangieren. Die Dinge und die Poeme sind unversöhnbar. / Es geht darum, sich bewußt zu sein, ob man ein Gedicht machen oder einem Ding gerecht werden will […]. / Es ist das zweite Glied der Alternative, für das mein Sinn (ein heftiger Sinn für die Dinge, und für den Fortschritt des Geistes) sich ohne Zögern entscheidet. « (Ponge 1982, 7f.)

Paradigma des »Objekts« ist in diesem Werk eben der »Kiefernwald«; der Schreibprozeß stellt sich dar als dessen Erkundung und Eroberung.

»Und ›der Kiefernwald‹ ist es, auf den ich, aus Instinkt, immer wieder zurückkomme, als auf den Gegenstand, der mich umfassend interessiert, der meine Person ganz in Bann schlägt […]. Er ist einer jener einzigartigen Gegenstände, dem ich mich ganz und gar gebe (oder in dem ich mich verliere): ein wenig wie ein Forscher bei seiner nur ihm allein möglichen Suche.« (Ponge 1982, 69)

Ponge vergleicht sich in seiner ›Selbst‹-losigkeit mit dem Forscher, dem es ja gleichfalls um das Erkenntnisobjekt an sich gehe. »[…] ich möchte weniger Poet als ›Forscher‹ sein. Meine Sehnsucht richtet sich weniger auf ein Poem als auf eine Formel, auf eine Klärung von Eindrücken. Wäre es möglich, eine Wissenschaft zu begründen mit dem Material ›ästhetische Eindrücke‹, so wünschte ich der Mann dieser Wissenschaft zu sein.« (Ponge 1982, 111) – Zum Programm der Selbst–losigkeit poetischer Darstellung vgl. Gerd Henninger: Vorbemerkungen zu Francis Ponge: Lyren. Ausgewählte Werke. Frz.–dt. Ausgabe. Dt. v. Gerd Henninger (»Proemes« in der Übers. v. Katharina Spann). Frankfurt/M. 1965, S. 8. – Das Objekt, und nur dieses soll sichtbar gemacht werden – wobei die Beschreibung keinen Eigenwert, sondern gleichsam die Funktion einer gläsernen Hülle haben darf (vgl. Ponge 1982, 17). Ponges Freund Gabriel Audisio macht ihn allerdings auf das Problem aufmerksam, daß eine ungefilterte Erfahrung nicht möglich ist – in einem Brief, welcher dann dem »Notizbuch« beigefügt wird:

»Es ist ein Hirngespinst, das Objekt ›unverfälscht‹ wiedergeben zu wollen. Du wirst nie mehr erreichen als eine Idee, einen Moment, eines Objekts.« (Ponge 1982, 73)

Ponge will beschreiben, um sichtbar zu machen: hier den Kiefernwald. Genauigkeit erscheint ihm als oberstes Stilideal (vgl. Ponge 1982, 110). Gesucht und erprobt werden »Einfache und treffende Ausdrücke für den Kiefernwald«, wobei angeführten Beispiele – hier etwa: »›Geruhsame Holzfabrik‹« – einen Willen zur produktiven sprachlichen Gestaltung verraten und mit trivialer Benennung nichts zu tun haben (Ponge 1982, 33). Ausdrücke sollten nicht wie selbstverständlich benutzt, sondern aus ihrer Sedimentierung zu Klischees erlöst werden (vgl. Ponge 1982, 77).