U.
Unendliche Listen: Das Projekt einer Enzyklopädie der Toten
Christian Boltanskis »enzyklopädische« Installationen

Zentrale Themen im Œuvre Christian Boltanskis sind die Zeit und der Tod – sowie, mit beidem verknüpft, die Thematik von Erinnerung und Vergessen.

Ein zweites Kernthema – wiederum eng mit den genannten Themen verbunden – ist die Photographie. Boltanskis Photo-Installationen sind in mehr als einer Hinsicht meta-photographische Werke: Sie machen auf das Medium als solches aufmerksam (u.a. durch einprägsame und unkonventionelle Arrangements), sie erinnern an Funktionen der Photographie im Alltag, an die Bedeutung, die photographische Bilder für uns haben können, und an die Schicksale solcher Bilder.

Photos von Menschen, meist Photoporträts, stehen dabei im Zentrum. Manche der Installationen erinnern an Familienalben und zitieren die Form dieses ›materialisierten‹ Familiengedächtnisses.

Ein Beispiel dafür ist die Photoinstallation »Album de photos de la famille D. entre 1939 et 1964« (1971): Rund 180 Schwarzweiß-Familienphotos aus dem Besitz von Boltanskis Freund Marcel Durand wurden abphotographiert, geordnet und ohne Kommentar aufgehängt. Die Installation steht für ein beliebiges Familien-»Gedächtnis«, dessen Metapher das Album ist:

»Warum es gerade dieses Album sein musste? Durand ist ein echter Franzose, trägt den geläufigsten Namen Frankreichs und hat eine total normale Kindheit erlebt – anscheinend. Natürlich hätte ich auch mein eigenes Fotoalbum nehmen können. Aber das wäre viel zu speziell gewesen. Deshalb habe ich ein völlig austauschbares Album ausgewählt.« (Boltanski 2008, 49f.)

Mit Boltanskis Installationen werden Orte des Gedenkens zitiert: das Archiv als der Raum, in dem vergangenes Leben verwaltet wird, und der Sakralraum als Schauplatz kollektiven Gedenkens, aber auch die Grabstätte. Verdichtet wird die skizzierte Thematik durch die Plazierung von Photographien in Sakralräumen sowie Photoinstallationen, die an Friedhöfe und andere Stätten des Totenkultes erinnern.