Die Ich-Erzählerin berichtet einleitend von einer Reise nach Schweden, die sie ein Jahr zuvor auf Einladung des Stockholmer Instituts für Theaterwissenschaft machte. Sie habe in Begleitung einer Frau namens Kristina Johannson mehreren Theateraufführungen beigewohnt, darunter insbesondere einer vor Häftlingen gespielten Inszenierung von Becketts »Warten auf Godot« – und noch zehn Tage später habe sie, nachhause zurückgekehrt, »in dieser fernen Welt wie von einem Traum« gelebt. Es handelt sich um eine (Traum-)Reise, in der vor allem Erinnerungen an Tod und Vergänglichkeit, aber auch an die Überwindung des Todes durch an Relikte geknüpfte Erinnerungen eine Rolle spielten. Frau Johannson (deren Vorname Kristina und Nachname Johannson christologische Anspielungen enthält) habe ihr in den zehn Tagen alles mögliche an Interessantem zeigen wollen, darunter ein aus dem Schlamm geborgenes antikes Segelschiff, das die Erzählerin wegen seines guten Erhaltungszustandes rückblickend mit einer »Pharaonenmumie« vergleicht. Zu den besuchten Theaterstücken gehörte auch die »Gespenstersonate«. Danach hatte Frau Johannson ihren Gast in eine Bibliothek gebracht. Obwohl es schon 11 Uhr abends und die Bibliothek geschlossen war, hatte ein Portier die Tür geöffnet (er hatte die ausländische Besucherin an den Wächter des zuvor besuchten Gefängnisses erinnert). Frau Johannson hatte sie dem Wächter anvertraut (den die Erzählerin bei dieser Gelegenheit in Anspielung auf den Höllenhund, der den Hades bewacht, ›Zerberus‹ nennt) und sie ermuntert, sich jetzt allein in aller Ruhe die Bibliothek anzusehen; der Wächter werde sich schon um sie kümmern. Letzterer hatte die Erzählerin dann in der Bibliothek mit ihren gleichförmigen, untereinander durch Gänge verbundenen Räumen allein gelassen, ja offenbar eingeschlossen – bei flackerndem Licht, umgeben von Spinnweben.
Nachdem sie einige wenige Räume durchschritten hat, erkennt die Besucherin das wichtigste Organisationsprinzip der Bibliothek: Die Sequenz der Räume ist alphabetisch geordnet. Insofern ist die Bibliothek analog zu den Bänden einer alphabetischen Enzyklopädie gestaltet. (Über das Motiv der absonderlichen Bibliothek als solches besteht bereits ein Bezug zur Bibliothekserzählung von Borges. Hier bei Kiš gibt es allerdings anders als dort offenbar eine Ordnung.)
Woher die Erzählerin Kenntnis davon hat, daß es so etwas wie eine »Enyzklopädie der Toten« gibt, ist nicht klar. Dunkel bleibt zunächst auch, von wem der Band handelt, den sie als ersten sucht und aufschlägt, nachdem sie die alphabetische Topographie der Bibliothek durchschaut hat – aber das klärt sich bald auf.
Der in dem Band und auf dem Photo dargestellte Vater der Erzählerin, an dem sie sehr hing, ist zwei Monate vor ihrer Reise nach Schweden gestorben; ihre Reise soll u.a. dazu dienen, den Schmerz zu lindern. Nun ist sie ganz unerwartet mit der Lebensgeschichte des Vaters konfrontiert – und zwar mit einer Biographie von erschöpfender Vollständigkeit, einer wahrhaft enzyklopädischen Darstellung ihres Vaters und seiner Lebenszusammenhänge. Die Bücher sind staubig, von Spinnweben umhüllt und werden sonst offenbar nie gelesen. Besorgt, der Wächter werde sie bei der Lektüre vorzeitig unterbrechen, vertieft sich die Erzählerin in das Buch über das Leben ihres Vaters.
Die Besucherin entschließt sich, die Nacht in der Bibliothek zu verbringen und sich aus dem Lebensbuch des Vaters Aufzeichnungen zu machen. Auf diesen beruht, der Fiktion zufolge, die Erzählung, die wir lesen, die sich allerdings von vornherein als nur unzulänglicher und partikulärer Auszug der exzerpierten Vorlage ausweist. Mit Mitteilungen über das Leben des Vaters verbinden sich Bemerkungen über den Charakter der »Enzyklopädie der Toten«, von der die Erzählerin früher offenbar bereits gehört hatte, die sie jetzt aber erstmals richtig einzuschätzen und zu beschreiben vermag. Die enzyklopädische Darstellungsweise in dieser Bibliothek ist eine ›totalisierende‹ Darstellungsweise. Über das, was Gegenstand der Beschreibung ist, wird ›alles‹ mitgeteilt, so daß das Beschriebene vor den Augen des Lesers selbst wie gegenwärtig erscheint.
Letztere Wendung deutet vage an, daß das Leben des Vaters (und damit das der Menschen überhaupt) vorab determiniert ist, ohne daß die Erzählerin dies weiter ausführt.
Sie erlebt die weiterhin geschilderten Lebensstationen des Vaters beim Lesen so, als sei sie deren Augenzeugin: beispielsweise das Begräbnis der Mutter des Vaters, über die im Totenbuch dann auch weitere detaillierte Informationen gegeben werden – bis zu den Einzelheiten ihrer Beerdigung. In Andeutungen spricht sie dabei auch über diejenigen, die die Enzyklopädie der Toten verfaßt haben (und immer noch verfassen): eine Art Geheimgesellschaft, die sich diesem gigantomanen Projekt verschrieben hat und damit die Funktion übernimmt, die alten religiösen Vorstellungen zufolge die Engel übernommen haben: aufs präziseste Buch zu führen über das Leben der einzelnen Menschen. (Über das Motiv der Geheimgesellschaft von Enzyklopädisten besteht eine Analogie zu Borges’ Tlön-Erzählung.)