G.
Getilgtes, Gebrauchtes, Abgenutztes, Ausgestorbenes, Verlorenes: Lexikographik des Verschwindens
Zeit für ein »Letztes Lexikon«?

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Diese Beschreibung des eigenen lexikographischen Unternehmens suggeriert bzw. bekräftigt mehrerlei:
(a) Das im Lexikon dargestellte Wissen wird als zitiertes bzw. kompiliertes Wissen von vornherein unter dem Aspekt seiner Geschichtlichkeit (und d.h. auch: seiner Veraltungsfähigkeit) wahrgenommen; Wissen erscheint als etwas historisch und kulturell Relatives.
(b) Alles darstellbare Wissen wird vor dem (zu denkenden) Hintergrund eines Übermaßes an nicht-dargestelltem Wissen entfaltet; anders gesagt: alle Wissensdarstellung beruht auf Selektionen, ist Stückwerk, ist Segment aus einer unüberschaubaren Enzyklopädie des Gesamtwissens.
(c) Die Darbietung von Wissensinhalten im »Letzten Lexikon« möchte – über Inhaltliches hinaus – besagte Geschichtlichkeit und Kontingenz von Wissenskompendien bewußt machen; dies kann nur durch die Darbietungsweise Geschehen, die eine im weiteren Sinn ästhetische ist, indem sie auf sich aufmerksam macht. Die Einleitung (»Zur Epoche der Enzyklopädien«) unterstreicht den Aspekt der Darbietung lexikographischen Wissens besonders – und die eigene Umgangsweise mit historischen Darstellungsstilen. Mit den kompilierten Informationen aus allerlei historischen Konversationslexika geht es um die Organisation von Wissen – und um dessen Geschichtlichkeit.

»Die Lexika sind, im Guten wie im Bösen, Teil der deutschen Geschichte, Sie machten sich immer wieder zu Verstärkern und Lautsprechern des Zeitgeistes und riskierten nicht allzu oft – am ehesten noch im Vormärz – oppositionelle Töne. Das ›Letzte Lexikon‹ verfolgt beide Spuren. Es reagiert auf die erhöhte Umlauf- und Rezeptionsgeschwindigkeit des Wissens nicht mit atemloser Hektik, sondern im Gegenteil mit der Wiederentdeckung enzyklopädischer Langsamkeit. Wir schreiben in der prekären Gewißheit, daß es heute auch darauf ankommt, zu wissen, was man nicht wissen kann und muß, was vor dem Verschwinden gerettet zu werden verdient und was nicht. Wir sind nicht fixen Wahrheiten, sondern deren Zeitkernen auf der Spur. Unser Projekt leitet sich den Luxus, Einsichten und Erkenntnisse ohne ängstliche Seitenblicke auf ihr Verfallsdatum zu sammeln und einer vergeßlichen Zeit wieder in Erinnerung zu rufen. Die Lücken und Untiefen, Verstiegenheiten und Bocksprünge, Stilblüten und Stilbrüche älterer Lexika registrieren wir dabei mit Staunen und heiterer Gelassenheit, aber ohne Häme, Besserwisserei oder Triumphgeschrei- Das ›Letzte Lexikon‹ entdeckt in den Lücken und Leerstellen seiner Vorgänger weniger Mängel und Kalküle als Sedimente der Geschichte. Es reiht sich in die aufklärerischen Traditionen des Genres ein, glossiert und ironisiert aber auch die Widersprüche und Exzesse jenes Prozesses der Vermehrung und Verfeinerung des Wissens, die ohne Konzessionen an Markt und Macht nicht zu haben waren.« (Bartens / Halter / Walther 2002, 12–13)