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Getilgtes, Gebrauchtes, Abgenutztes, Ausgestorbenes, Verlorenes: Lexikographik des Verschwindens
Zeit für ein »Letztes Lexikon«?

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Das »Letzte Lexikon« ist Metalexikon – und Antilexikon zugleich: Metalexikon, weil es durch Zitieren, Paraphrasieren und Kompilieren zur Reflexion über lexikographische Darstellungen auffordert, Anti-Lexikon, weil es im gegensatz zu konventionellen Konversationslexika nicht darauf abzielt, aktuelles Wissen bzw. Wissen auf einem aktuellen Stand darzubieten. Stattdessen liegt der Akzent auf Zeitlichkeit allen Wissens, und das Anachronistische oder doch Antiquierte nimmt breiten Raum ein. Der Grundgestus des Lexikons ist nicht: ›Das muß man wissen‹ sondern: ›So etwas hat man früher einmal zum Wissen gerechnet.‹ – Der Stil der Artikel changiert im wesentlichen zwischen zwei Verfahrensweisen. (a) Der überwiegende Teil der Artikel nennt seine lexikographischen Quellen explizit, indem er deren Angaben mit eigenen Worten, aber unter Verwendung prägnanter Zitate zusammenfaßt bzw. paraphrasiert. (b) Manche Artikel bestehen nur aus Zitaten, die älteren Lexikonartikeln entnommen sind. Historisiert erscheint das dargebotene Wissen auf jeden Fall. Ein Beispiel für (a) bietet der Artikel »Abenteuer« (Bartens/Halter/Walther 2002, 27), ein Beispiel für (b) der zum Lemma »Aberglaube« (ebd.). Dort, wo zu erwarten ist, daß der Leser mit den Lemmata selbst schon eigenes Wissen verbindet, überraschen die Artikel oft durch skurrile Informationen (vgl. »Hund«, »Papst«).

Manche Lemmata liegen außerhalb des geläufigen Allgemeinwissens.

»Eierkunde. Kein Wunder, daß die Universitäten in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an Attraktivität verloren haben, bieten sie doch so interessante Unterdisziplinen wie die Eierkunde nicht mehr an.« (Bartens/Halter/Walther 2002, 101f.: es handelt sich um eine »Hilfswissenschaft der Vogelkunde«, 102)

Für solche Informationen scheint ein ›Letztes Lexikon‹ die geeignete Form zu sein. Aber warum eigentlich ein letztes? Ein Blick in Buchhandlungen und Verzeichnisse neu erschienener Bücher spricht gerade gegen das Ende des lexikographischen Zeitalters. Offenbar liest man Lexika lieber denn je.

Und es scheint nichts zu geben, was nicht in einem Lexikon dargestellt werden könnte. Auffällig ist dabei ein vielfach dominierendes Interesse am Abseitigen, am Kuriosen, Ausgefallenen, Anachronistischen, am Ausgemusterten, (scheinbar) planlos Aufgesammelten, Funktionslosen. Gerade Objekte, die für einen Raum außerhalb der gehobenen Kultur oder außerhalb der Tagesaktualitäten stehen, werden vielfach ins Lexikon wie in ein buchförmiges Museum gerettet. Lexika, die sich selbst »Sammelsurium« nennen, präsentieren sich als alphabetisch strukturierte, deshalb aber gerade nicht ›sortierte‹ Rumpelkammern. Sie werben um Aufmerksamkeit für das, was man schon vergessen hat oder bald vergessen wird.