U.
Unendliche Listen: Das Projekt einer Enzyklopädie der Toten
La vie impossible
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Ein Zeuge hat C.B. als unzuverlässige Auskunftsinstanz in Erinnerung:
»Er hatte so viel über seine Kindheit geredet, so viele falsche Anekdoten über seine Familie erzählt, daß er zuguterletzt, wie er wiederholt sagte, nicht mehr wußte, was richtig und was falsch war, und überhaupt keine Kindheitserinnerungen mehr hatte.« (10) Das nebenstehende Bildmaterial zeigt u.a. die Einladung zu einer Aktion Boltanskis, der dabei die Inhalte von drei Schubladen mit persönlichen Dingen an Interessenten weggegeben hatte. (»Musée social ( 5, rue las cases, Paris VIIe – 4° étage / Dispersion a l’amiable / du contenu des 3 tiroirs du secrétaire / de / Christian Boltanski / originaux – lettres – documents et objets divers / le lundi 5 juin a 20 heures«)
Manche Zeugen verweigern auch ihrerseits die Aussage.
»Ich kenne viele Geschichten über ihn, Geschichten, wo er in keinem guten Licht dasteht, doch ich möchte jetzt lieber nichts sagen, was nützt es, das alles wieder aufzuwühlen?« (18)
Der Künstler erscheint als eine Gestalt, die von vielen wahrgenommen wurde, an die es aber keine homogene gemeinsame Erinnerung gibt. Was immer an persönlichen Bekanntschaften den Aussagen zugrunde liegen mag – Boltanski hat Aussagen über C.B. verfaßt, wie er sie von anderen wirklich gehört hat –, ändert doch nichts an deren Vagheit und an der Diffusion dessen, von dem da die Rede ist. Auf den Tod als das zentrale Thema in Boltanskis Œuvre deuten Wiedergaben seiner eigenen Äußerungen hin:
»Er sprach immer vom Tod, obwohl er eigentlich nie traurig war.« (47)
»Der Tod, der Tod, er führte nichts anderes im Munde, es war sein Broterwerb geworden, vom Tod zu reden.« (69)