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Listen
Die Liste ist ein Modell bzw. Konzept, das Umberto Eco zum Thema einer rezenten Veröffentlichung gemacht hat. Sie kann als Vorform der Enzyklopädie gelten.

Umberto Eco: »Die unendliche Liste«, München 2009 (Orig.: »Vertigine della lista«, Mailand 2009)


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Eco betrachtet die Liste als Vor- bzw. Frühform der Enzyklopädie. Die von ihm indirekt skizzierte Geschichte der Enzyklopädistik ist eine Geschichte der (zunehmend komplexeren) Ordnungsentwürfe.
Frühe ›Enzyklopädien‹ hatten gegenüber späteren noch sehr einfache Ordnungssysteme.

»Die ›naturgeschichte‹ Plinius‹ des Älteren versammelt etwa 20 000 Fakten und zitiert 500 Quellen, sie kann damit als Prototyp für sämtliche antiken und mittelalterlichen Enzyklopädien gelten. Auf den ersten Blick präsentiert sie sich wie ein regelrechtes Sammelsurium, das natürlich nicht alphabetisch geordnet ist, aber auch sonst keiner Systematik folgt – eine pure Liste, wie sie selten vorkommt. Doch wenn man das Inhaltsverzeichnis aufmerksam studiert, erkennt man, daß das Werk von den Himmelssphären ausgeht, sich dann mit Geographie befaßt, mit Demographie und Ethnographie, dann mit Anthropologie und menschlicher Physiologie, mit Zoologie, Botanik, Landwirtschaft, Gartenbau, Naturheilkunde, Medizin und Magie, um überzugehen zur Mineralogie, Architektur und Bildhauerei. Es läßt also eine gewisse Hierarchie zwischen Original und Derivat, zwischen Natürlichem und Künstlichem erkennen.« (Eco, 153)

Die Klassifikationssysteme mittelalterlicher Enzyklopädien wirken, so Eco, auf den neuzeitlichen Betrachter konfus; die enzyklopädischen Werke »präsentieren sich als einfache Auflistung unzusammenhängender Informationen«:

»Isidor von Sevilla verzeichnet in seiner ›Etymologie‹ die sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie, es folgen Medizin, Rechte, Kirchenbücher und Kirchenämter, Sprachen, Völker und Heere, Vokabeln, die Menschen, die Tiere, die Welt, die Gebäude, Steine und Metalle, Landwirtschaft, Kriege, Spiele, Theater, Schiffe, Kleider, das Haus und häusliche Arbeiten; und man fragt sich, welche Ordnung dieser Aufzählung wohl zugrunde liegen mag, wenn zum Beispiel der Teil über die Tiere gegliedert ist in Raubtiere, kleine Tiere, Schlangen, Würmer, Fische, Vögel und geflügelte kleine Tiere und das Krokodil zu den Fischen gezählt wird.« (Eco, 154f.)

Eco rekonstruiert Isidors Ordnungssystem, das hinter seinen auf den ersten (modernen) Blick verwirrend wirkenden Listen steckt:

»Schon zu Zeiten Isidors war das humanistische Grundstudium in Trivium und Quadrivium eingeteilt, und in der Tat befaßt sich Isidor in den ersten Büchern mit den entsprechenden Fächern, fügt allerdings die Medizin hinzu. Die folgenden, der Gesetzgebung und den Kirchenämtern gewidmeten Kapitel finden sich hier, weil Isidor auch als Schreiber für Gelehrte, Rechtsgelehrte und Mönche wirkte. Gleich darauf wird eine andere Ordnung erkennbar: Buch VII fängt bei Gott, den Engeln und den Heiligen an, um überzugehen zu den Menschen, dann zu den Tieren, und von Buch XIII an ist von der Welt und ihren Teilen die Rede, von Winden, Gewässern und Bergen. In Buch XV schließlich gelangt man zu den unbelebten, aber künstlich geschaffenen Dingen und damit zu den verschiedenen Künsten. Auch wenn er zwei entgegengesetzte Ordnungskriterien synkretistisch übereinanderlegt [das der Wissensdisziplinen und das der Hierarchie der Wesen], häuft Isidor doch nicht wahllos Wissen an. Der zweite Teil seiner ›Etymologie‹ ist nach dem Prinzip abnehmender Würde gegliedert, von Gott bis herab zu den Hauswirtschaftsgeräten. Diese Enzyklopädien setzten also eine Form voraus (oder strebten sie jedenfalls an), auch weil ihre Anordnung als Gedächtnisstütze diente: Eine bestimmte Ordnung der Dinge half dabei, sich an sie zu erinnern, sich an die Stelle zu erinnern, die sie im Gefüge der Welt einnehmen.« (Eco, 155)