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Listen
Die Liste ist ein Modell bzw. Konzept, das Umberto Eco zum Thema einer rezenten Veröffentlichung gemacht hat. Sie kann als Vorform der Enzyklopädie gelten.

Umberto Eco: »Die unendliche Liste«, München 2009 (Orig.: »Vertigine della lista«, Mailand 2009)


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Faszinierend bis heute sind Listen von »Wunderdingen« (mirabilia). Gerade hier hat es der Betrachter bzw. Leser ja mit Fremdem zu tun, das noch dazu auf eine unüberschaubar reiche und vielgestaltige Welt verweist. Moderne Literatur und Kunst knüpfen an die Form der Wunderkammer, Mirabiliensammlung etc. an – aber nicht mehr, um damit primär sachliches Wissen darzustellen, sondern um das Darstellungsprinzip selbst zu thematisieren und zu reflektieren. Als darstellungsreflexive Listen sind die Mirabilia-Aufzählungen in moderner Kunst und Literatur demnach ›poetische‹ Listen. Bei Borges sieht Eco darüberhinaus ein weiteres, spezifischeres Interesse zum Ausdruck gebracht: das Bewußtsein vom imaginären Charakter der aufgelisteten Dinge (und d.h.: das Interesse am Imaginären). Denn Borges listet ja Dinge, Wesen, Vorstellungsinhalte, die nur in der Imagination existieren, und d.h. nur als ›Namen‹.

»Bei zeitgenössischen Autoren erhält der Rückgriff auf die Liste der mirabilia rein poetische Funktion, wenn sie das antike Wissen in dem Bewußtsein zitieren, daß diese Liste bloß ein Katalog des Imaginären sind, zu genießen als reiner Klang, als ›flatus voci‹. Da ist zum Beispiel Jorge Luis Borges, der im ›Handbuch der phantastischen Zoologie‹ [libro de los seres imaginarios] aufzählt: Pygmäen, dreierlei Drachen, Abtu und Anet, den Elefanten, der die Geburt des Buddha ankündigte, die Elfen, die Sylphen, die Banshee, Haokah, den Donnergott, die Gnomen, Lilith, den Chinesischen Fuchs, Youwarkee, die Katze von Cheshire und die Katzen von Kilkenny, den Regenvogel und so weiter.« (Eco, 156)

Eco betont zweifellos zu Recht, daß die Borges-Liste aus einer anderen Haltung heraus entstand als die mittelalterlichen Listen. Dabei geht es um mehr als um den Genuß ›reiner Klänge‹. Wenn etwas ›nur‹ durch seine sprachliche Repräsentation entsteht, dann heißt dies auch, daß man aus sprachlichen Benennungen und Beschreibungen Welten bauen kann.