N.
Neue Perspektiven auf Sprachbestände und Ausdrucksweisen:
Das Wörterbuch als Form der Satire, Parodie und Diskurskritik
(Rabener – Lichtenberg – Flaubert – Bierce)
Gottlieb Wilhelm Rabener: »Versuch eines deutschen Wörterbuchs«

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In seiner Schrift »Von dem Mißbrauch der Satire« (R I 55ff.) erläutert Rabener mit selbsta­pologetischer Gebärde die Pflichten des Satirikers und die Grenzen, welche durch dessen Kritik nicht überschritten werden dürfen. Manches klingt wie blanke Ironie, ist aber durchaus ernstgemeint. Rabener (immerhin einer der Hauptvertreter deutschsprachiger Satire im »aufgeklärten« Zeitalter!) gibt seiner Hochachtung von Autoritäten unmißverständlichen Ausdruck. Kirche und Staat, der geistliche Stand und weltliche Institutionen, der Gelehrten­stand, die »Schulmeister«, ja selbst die persönlich fragwürdigen Inhaber ehrwürdiger Ämter, sind von jeder Kritik zu verschonen. Kritik selbst wird verdächtig – könne sie doch gegebe­nenfalls mehr schaden als nützen – so Rabener, der solche Selbstzensur für »Klugheit« hält (R I 68; vgl. auch R I 70ff.). Autorität, auch abstrakte Autorität, hat Vorrang vor der Kritik, die womöglich als Subversion ausgelegt werden könnte. Vgl. etwa R I 70: »Die Religion läuft Ge­fahr, verächtlich zu werden, wenn man die Fehler desjenigen verächtlich macht, welcher ge­setzt ist, die Religion zu predigen. (...) Wage ich nicht zu viel, wenn ich Einen bessern will und dadurch in Gefahr komme, das Ansehen der ganzen Religion zu schwächen (...)? Ist ein Geistlicher wirklich lasterhaft, so überlasse man ihn der Obrigkeit (...).« Auch in seinen Sati­ren, so versichert Rabener, werde man »Stellen finden, wo ich eine wahre Hochachtung gegen die Religion und ihre Diener ernsthaft genug geäußert habe« (S. 73). – Zum gleichen Thema vgl. auch Rabeners »Sendschreiben von der Zulässigkeit der Satire«, R I 217ff. »Es gibt Per­sonen, welche ihre Gewalt gefährlich und ihr Stand ehrwürdig macht, welche wir als Gönner und Beförderer verehren müssen. Sie haben vielleicht ein tadelnswürdiges Laster an sich; aber hüten Sie sich, dieses Laster anzugreifen. Es bleiben noch tausend andere Fehler übrig, womit sich Ihre Satire beschäftigen kann.« (R I 225) Dieser Rat, man muß es wohl ausdrück­lich betonen, ist von Rabener wörtlich und keineswegs sarkastisch gemeint. – Zu Rabeners Auffassung von der Satire vgl. Armin Biergann: Gottlieb Wilhelm Rabeners Satiren. Diss. Köln 1961, S. 65ff.

Gegenstand der Satire ist der Etikettenschwindel mit jenen Wörtern: so etwa der »figürliche« Sinn des Wortes ehrwürdig, demzufolge jeder automatisch ehrwürdig heißen darf, der einen schwarzen Rock trägt (R II 12), die abstruse Wendung vom ehrwürdigen Rausch, die Gleichsetzung von Ehrwürdigkeit mit äußerer Reputation und Selbstgefälligkeit (R II 13). Das Stichwort gelehrt wird zum Anlaß genommen, Erscheinungsformen falscher, vorgespiegelter Gelehrsamkeit sowie den inflationären Gebrauch des Wortes zu karikieren. – Auch der Ausdruck Menschenfeind, ausnahmsweise ein negativ konnotiertes Wort, erweist sich als beliebig handhabbares Etikett; ironisch wird es von Rabe­ner denjenigen zugeordnet, welche die Menschheit durch Kritik zu bessern su­chen, insbesondere den »verhaßten Satirenschreibern«, jenen »Erbfeinde(n) der Menschheit« (R II 25).

Das Wort Deutsch wird, im Gegensatz zu Rabeners tatsächlicher Überzeugung, als »ein Schimpfwort« ausgegeben (R II 34). Als le­gitim wird die Verunglimpfung sowohl des Wortes als auch der mit diesem Ad­jektiv belegten Gegenstände (etwa der deutschen Sprache) ausgegeben, als legi­tim auch die Gleichsetzung des Ausdrucks Altdeutsch mit einem Schimpfwort (R II 39). Einzelne Wendungen, in denen das Wort mit positiver Konnotation auftaucht, werden als Leerformeln denunziert; »Deutsche Redlichkeit, ist ein verbum obsoletum, oder höchstens nur ein Provinzialwort.« (R II 39) Im Artikel Fabel wird dieser Name von allen ästhetischen und moralischen Erwartungen abgekoppelt, die man an eine Fabel etwa stellen könnte (etwa die nach »poetische(r) Wahrscheinlichkeit« oder nach Vermittlung einer »Sitten­lehre«, R II 39). Dichten ist eine Etikettierungsfrage: »Er [= der Fabeldichter] schreibt: Der … eine Fabel. Und siehe, so ist es eine Fabel! Mehr ge­hört dazu nicht.« (R II 39) Weil nun die schlechten, die poetisch »unwahrschein­lichen« Dichtereien den Namen »Fabel« verdienen, sollten die »wahrscheinli­chen«, die bislang maßstabsetzenden Fabeln des Phädrus etwa, diesen Namen besser nicht mehr tragen (R II 48). Darüber, was eine Fabel genannt werden darf, entscheidet de facto die Anmaßung derer, die von Fabeln nichts verstehen. Wie in der Welt der (falschen) Moral, wird auch in der Dichtung und ihrer Theorie jedes Etikett dahin geklebt, wo man es gerade gebrauchen kann.