Obwohl dem Rahmenthema und dem Zweck seiner Erörterung nach dem »Wörterbuch« Rabeners noch ferner stehend als seine beiden Brüder, ist der Instinkt-Artikel mit jenen früheren Artikeln an einer Stelle doch verwandt: Ein Abschnitt behandelt die irreführende Um-Etikettierung eigennütziger Motive und kulturell bedingter Laster zu »Trieben«, also zu natürlichen (und damit legitimierten) Impulsen. Die beiden Naturinstinkte der Fortpflanzung und der Selbsterhaltung tragen ihre Namen zu Recht, die Laster und Gebrechen hingegen werden von einer moralisch depravierten Gesellschaft zu Unrecht als natürliche »Triebe« bezeichnet. Hinter dem willkürlichen Spiel mit Etiketten verbirgt sich (wie bei Rabener) das moralische Defizit, ja dieses Spiel selbst ist moralisch anrüchig, da es Täuschungen und Selbsttäuschungen zum Zweck hat.
Daß eine Gesellschaft es nötig hat, zur Rechtfertigung ihrer Unarten imaginäre Triebe zu ersinnen, deren Namen als verfügbare Spielsteine gehandelt werden, zeigt ihre Entfernung von einer authentischen Natürlichkeit – und ihre Neigung, sich selbst und anderen etwas vorzumachen. ›Instinkte‹ werden zum fingierten Vorwand für allerlei Unarten und Laster.
Und so geht es doch auch hier wieder um die Benennung und (beliebige) Umbenennung von Dingen als ein in der Gesellschaft praktiziertes Verfahren der verfälschenden und schönfärbenden Sprachverwendung. Wo einst die Instinkte herrschten, herrschen heute die Wörter – und die, welche sich dieser trickreich zu bedienen wissen.