W.
Wirkliche und Mögliche Welten
Zur Frage nach der Differenzierbarkeit zwischen wirklichen und möglichen Welten

In einem ersten Ansatz könnte man auf den Gedanken kommen zu sagen, daß ›echte‹, wissenschaftlich fundierte Naturkundebücher, ›echte‹ geographische Beschreibungen (und Reiseführer) oder ›echte‹ historiographische Darstellungen sich über die »wirkliche« Welt äußern, während literarische Lexika, Topographien und Chroniken sich auf ›mögliche Welten‹ beziehen. Damit ist man im Zentrum eines Problems: (wie) lassen sich Wirkliches und Mögliches differenzierend beschreiben?

Umberto Eco möchte an der Differenzierung zwischen »wirklicher« Welt und »möglichen Welten« gern festhalten. Aber er unterstreicht, daß man, um Welten überhaupt miteinander vergleichen zu können, »auch die reale Welt als kulturelles Konstrukt betrachten« muß. Den Begriff »reale Welt« möchte er zwar beibehalten, dies aber unter Betonung der Tatsache, daß diese »reale Welt« eben das ist, was eine Vielzahl von Informationsquellen und Darstellungsmedien uns übereinstimmend als »reale Welt« beschreibt (Vgl. Eco 1992, 261). Die »Gesamtheit der Bilder der realen Welt« ist für Eco »deren potentiell maximale und vollständige Enzyklopädie«; er betont aber »die rein regulative Natur dieser potentiellen Enzyklopädie« (Eco 1992, 260, unter Verweis auf »Lector in Fabula«, 1979, und »Semiotica e filosofia del linguaggio«, 1984). Der erkenntnistheoretisch relevante Begriff der möglichen Welt entstammt, wie Eco betont, der Literatur. Wie die sogenannte wirkliche Welt seien auch die möglichen Welten kulturelle Konstrukte. Als solche haben sie eine erkenntniskritische Funktion. Man erforsche, so Eco, »die Welt der possibilia, um ein den realia angemessenes Modell zu finden.« (Eco 1992, 261)

Die aus Ecos Sicht noch sinnvolle Differenzierung zwischen wirklicher Welt und möglichen Welten ist von Vertretern eines konsequenteren Konstruktivismus kritisch gesehen worden. Der Philosoph Wolfgang Welsch stellt bilanzierend fest, das Denken habe sich: »seit Kant zunehmend auf die Einsicht zubewegt, daß die Grundlagen dessen, was wir Wirklichkeit nennen, fiktionaler Natur sind«, und seine Schlußfolgerung lautet: »Wirklichkeit erwies sich immer mehr als nicht ›realistisch‹, sondern ›ästhetisch' konstituiert.« (Welsch 1989, 7) Im Zeichen dieser Einsicht lege, so Welsch weiter, »die Ästhetik den Charakter einer speziellen Disziplin ab« und werde »zu einem generellen Verstehensmedium für Wirklichkeit.« (7) Man muß diese konstruktivistische These nicht teilen. Für unseren Zusammenhang wichtig ist, daß auch und gerade die Konstruktivisten sich bei ihren Argumentationen vielfach an literarischen Autoren und deren Konstrukten und Reflexionen orientieren.