N.
Neue Perspektiven auf Sprachbestände und Ausdrucksweisen:
Das Wörterbuch als Form der Satire, Parodie und Diskurskritik
(Rabener – Lichtenberg – Flaubert – Bierce)
Gustave Flaubert: »Dictionnaire des idées reçues« (»Sottisier«)

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Nach längerer Schreibarbeit, die beliebig und willkürlich zusammengetragene Vorlagen verdoppelt, sehnen sich die beiden Schreiber dann danach, »wieder eine Art Ordnung in das Ganze zu bringen«, und sie schreiben Flauberts Skizze zufolge »alles erneut in ein großes Kontobuch ab«; betont wird der »Genuss, der in diesem materiellen Akt des Abschreibens liegt«. Das Sammelsurium an zusammengetragenen Textbausteinen und -bruchstücken repräsentiert gewaltige, aber heterogene Themenfelder:

»Specimen aller Stilarten [:] landwirtschaftlich, medizinisch, theologisch, klassisch, romantisch, umschreibend.
Parallelen: Verbrechen der Völker – der Könige – Wohltaten der Religion, Verbrechen der Religion.
Schönheiten [:] die Universalgeschichte von Schönheiten schreiben.
Wörterbuch der Gemeinplätze. Katalog der schicken Ideen.
Die MS des Kopisten von Marescot. = poetische Stücke.
Anmerkungen unten auf den Abschriften.«

So verwandelt sich die Materialsammlung in ein Archiv (Henschen, 10). Die Probleme, die Bouvard und Pécuchet gerade angesichts ihres Ordnungsversuchs mit ihrer Kollektion haben, spiegeln sich in Bemerkungen wie: »Häufig aber sind sie in Verlegenheit, einen Sachverhalt an der angemessenen Stelle abzulegen[...], und haben Zweifelsfälle. Die Schwierigkeiten wachsen in dem Maße, wie sie in der Arbeit voranschreiten – dennoch fahren sie damit fort.« (Flaubert, zit. nach Henschen 11)
Das von Flaubert hinterlassene Projekt oder ›work in progress‹ verhält sich wegen seiner offenen Form sperrig gegenüber einer buchförmigen Darstellung; im Fall einer übersetzten Version kompliziert sich die Aufgabe noch. Zur Gliederung seiner deutschen Version des »Sottisier« erklärt Henschen: »Die folgenden, in (hier ›Sektionen‹ genannte) Kapitel gegliederten Sachbereiche sind, wie von Flaubert vorgesehen, nach dem ›Kartenreiter‹-Prinzip organisiert, d.h. einem (...) ›Stichwort‹ zu- und untergeordnet, das gewöhnlich auch den Inhalt des folgenden Exzerpts bündig zusammenfasst.« (14)

Der Band gliedert sich in folgende Teile:

»Annoncen, Reklamen, Rundschreiben
Verzeichnisse und Merkwürdigkeiten
Kopie. Stile (Stilmuster) [dazu gehören:] Landwirtschaftliche, Geistliche, Große Schriftsteller, Romantisce, Dramatische, Revolutionäre, Realistischer, volkstümlicher, Kavaliers- Hausbesitzerstil, Offizielle, Staatsoberhäupter, Journalisten, Literatur von Einfallspinseln. Dummköpfe, Rokoko, Periphrasen.«

Dies und die Titel weiterer Rubriken machen die Heterogenität der hier ausgebreiteten Gegenstände bzw. textlichen Versatzstücke deutlich:

»Große Männer
Ästhetik und Kritik
Hass auf Romane
Korrigierte Klassiker
Geschichte und wissenschaftliche Ideen
Widersprüche der Wissenschaft
Philosophie
Religion – Mystik – Prophezeiungen
Erhöhung des Niedrigen
Schönheiten [dazu gehören:] Schönheiten der Literaten, ... der Partei der Ordnung, ... des Volkes, ... der Religion, ... der Oberhäupter
Beschimpfungen, Dummheiten, Niederträchtigkeiten [hier:] Leibe. Palinodien.«