A.
Ausgangsüberlegungen:
Literatur als Reflexion über Wissen
Das Alphazet
Einige Thesen zum Thema Literatur und
Wissensdarstellung
Literarische Experimente mit den Darstellungsformen von Sach-
und Fachbüchern, Wissenskompendien, insbesondere von Lexika und
Enzyklopädien, Handbüchern, Bestiarien, aber auch mit
Wörterbüchern, kartographischen Werken etc. sind als eine
spezifische Spielform der Literatur zu betrachten, die sich
allerdings nicht klar eingrenzen läßt (letzteres ist für sie sogar
charakteristisch).
Das Spektrum der Schreib- und Gestaltungsweisen im Bereich der
einschlägigen literarischen Beispiele ist breit.
Sie orientieren sich oft an zeitgenössischen, oft aber auch an
inzwischen historisch überholten, anachronistischen, manchmal auch
an ›futuristischen‹ Formen der Darstellung und Vermittlung des
Wissens. Dadurch provozieren sie zur Reflexion über diese
Darstellungsverfahren, die Abhängigkeit des Wissens von den Formen
seiner Darstellung und die Geschichtlichkeit sowie die kulturelle
Prägung von Wissen und Wissensdarstellung. – An ihrem Leitfaden
erörtert werden können (u.a.):
- Die Frage nach Charakter und Auswahl des präsentierten Wissens
und seiner Beziehung zu den verschiedenen Wissensdiskursen
- Die Frage nach Formen der Anordnung von Wissen
- Die Frage nach der Beziehung zwischen sprachlichen und
nichtsprachlichen Bestandteilen
Die fraglichen Bücher haben auch spezifischere Zwecke, anhand derer
sie locker nach Typen gruppiert werden könnten:
- Manche sind satirisch und zielen dabei entweder auf die (in
verschlüsselter Form) dargestellten Gegenstände oder aber auf den
Darstellungsstil (als Gelehrten‑ oder Wissenschaftssatire).
- Andere dienen primär dazu, die Leser, die sich für einen
bestimmten fiktiven Kosmos interessieren, zu illusionssteigernden
Zwecken mit dichteren Informationen über diese imaginären Welten
zu versorgen.
- Manche dienen dem mystifizierenden Spiel mit der Grenze
zwischen vermitteltem Sachwissen und Fake bzw. Fälschung.
- Wiederum andere stehen der Nonsens-Literatur nahe (die aber
auch gar nicht so ohne Weiteres eingrenzbar ist). Gerade in diesen
Fällen sind sprachspielerische Verfahren von zentraler Bedeutung,
die Kreation von Wort-Wesen, der Entwurf von Wort-Welten etc.
In vielen Fällen bestehen Beziehungen zur kulturellen Praxis des
Fälschens und Fakens, aber als ästhetische Gebilde stehen die
fraglichen Werke jenseits der Kriterien von Wahrheit und
Falschheit. Sie illustrieren in einer Weise, die an die alte
Diskussion über das Recht der Fiktionen anschließt, die Effizienz
von Fingierungsverfahren und insistieren auf deren Legitimität. Sie
demonstrieren (aus konstruktivistischer Perspektive gesagt) den
Konstruktcharakter
gewusster Welten. Sie machen die Bedeutung von
Medien und Ordnungen der Wissensdarstellung sinnfällig. So wird
das, was vordergründig als ›Fake‹ angesprochen werden könnte, zum
Korrektiv etablierter Wissensordnungen und Wissensdiskurse.