Im Bereich der Lexikofiktion lassen sich – zumindest zu heuristischen Zwecken – verschiedene Schreibweisen unterscheiden. Erstens ist die Lexikonform Romanen als Strukturmodell zugrundegelegt worden. Der »Lexikonroman« gliedert sich in alphabetisch aufeinander folgende Abschnitte, in denen sich die romaninterne Welt dargestellt findet (Okopenko). Zweitens kann die Lexikonform gewählt werden, um narrative Werke von netzwerkartiger Struktur zu verfassen, in denen nicht eine Welt dargestellt, sondern mehrere miteinander konfrontiert werden, und in denen keine lineare Geschichte erzählt, sondern im Medium des literarischen Lexikons über Prozesse der Interpretation, Übersetzung und Überlieferung reflektiert wird (Pavić). Als literarische Werke in lexikographischer Gestalt haben auch solche Texte zu gelten, die auf der Basis von Zitaten, Paraphrasen oder Transformationen eines textuellen Kosmos einen bestimmten Gegenstand oder ein Themenfeld (wie etwa den »Regen« oder die »Abfälle«) zum Gegenstand der Darstellung machen. Neben literarischen Werken, die als Ganze die Form des Lexikons besitzen, stehen solche, in denen lexikographische Anteile sich als scheinbarer Paratext an die narrative Darstellung der Ereignisse anschließen (Ransmayr: »Die letzte Welt«, Norfolk: »Lemprière’s Dictionary«). Hierbei handelt es sich aber nicht wirklich um bloßes »Beiwerk«. Tatsächlich tragen die lexikographischen Partien der Bücher ja zur Ausgestaltung der romaninternen Welt maßgeblich bei und haben Anteil am ästhetisch-reflexiven Prozeß, der durch das Gesamtwerk dokumentiert bzw. ausgelöst wird. Zu fragen ist allerdings, ob und inwiefern sich Grenzen ziehen lassen zwischen solchen die Diegese ergänzenden lexikographischen Schreibweisen und – beispielsweise – einem Lexikon der Figuren eines bestimmten Schriftstellers, das von einem Leser und Interpreten nachträglich erstellt wird. Und was ist, wenn ein Autor nachträglich ein Lexikon über seine Welt schreibt?