B.
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Über lexikographisches Schreiben als Genre
Wortgeburten

Lexikographische Beschreibungen produzieren die Wesen, die sie beschreiben, durch den Akt der Beschreibung zumindest als Gegenstand unserer Vorstellungen. Aussagen über das Aussehen dieser Geschöpfe, ihr Verhalten und ihre Umwelt geben ihnen ein Profil. Um ein (populäres) Beispiel anzuführen, sei ein Artikel aus Werner Fulds »Lexikon der Fälschungen« zitiert: Loriots Steinlaus (»petrophaga lorioti‹). Diese hat Eingang in ein medizinisches Lexikon, den ›Pschyrembel‹, gefunden.

»Von 1986 bis 1992 war die Steinlaus, jedenfalls laut Eintrag in den jeweiligen Auflagen des ›Pschyrembel‹, ›Gegenstand intensiver Forschung in- und ausländischer Arbeitsgruppen. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen Fragen des therapeutischen Einsatzes bestimmter Subspezies (Gallen-St., Zahn-St., u.v.a.), eine mögliche Verwendung zur architektonischen Umgestaltung von Großstädten (s. Biotop), evtl. auch von Großhirnen (Rindenarchitektonik).‹ Die Hoffnung auf eine gesicherte therapeutische Funktion der von Loriot 1983 erstmals beschriebenen ›petrophaga lorioti‹ benannten Nagetiergattung schien allerdings getrogen zu haben, da ab 1993 auf eine Fortsetzung des Eintrags verzichtet wurde. Erst 1997 taucht die Steinlaus wieder im ›Pschyrembel‹ auf, diesmal mit dem nüchternen Kommentar, daß sie sich für medizinische Zwecke wohl nicht eigne. Allerdings wird nun wieder auf ihren Einfluß auf die Großstadtarchitektur verwiesen und ihre mögliche Bedeutung beim Fall der Berliner Mauer diskutiert.« (Fuld, 302f.; Fuld gibt als Quellen an: Loriots Bibliothek, Bd. 4. Warner Home Video 1984. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage, Berlin 1977; Fuld 303)