K.
Kritische Reflexionen über Sprache und Vokabular:
Literarische Texte über Wörterbücher
Das Wörterbuch als kulturtragende Instanz

Indem man im 18. Jahrhundert die Abhängigkeit der Weltinterpretation von sprachlichen Strukturen und Prozessen entdeckt, avanciert das Wörterbuch zu einem privilegierten Schlüssel zur Welt. Seitdem gilt das Wörterbuch als kulturelle Schlüsselinstitution, als Weltvermittlungsinstanz. Auf den ersten ›linguistic turn‹ des späteren 18. und frühen 19. Jahrhunderts (Herder, Hamann, Humboldt) folgte in den 1960er Jahren ein zweiter. In den späten 1960ern werden Sach- und Wortlexika zu einem wichtigen Forschungsthema. (Vgl. Kirsten Hjort: Lexikon, Wörterbuch, Enzyklopädie Konversationslexikon. Versuch einer Begriffsklärung. In: Muttersprache 77 (1967). 353-365).

Vor allem Samuel Johnsons »Dictionary of the English Language«, 1755 in zwei Bänden erschienen, trug der Institution des Wörterbuchs als solcher größeren Respekt ein, als man ihr vorher je gezollt hatte: Als philologisch fundierte Bestandsaufnahme des kompletten englischen Wortschatzes angelegt, beruhte es auf einem Korpus von Beispielen, die Johnson zu weiten Teilen literarischen, philosophischen und biblischen Texten entnommen hatte: Schon dies nobilitierte das »Dictionary« und verlieh ihm eine normative Dimension, die für Jahrhunderte auf die Textform Wörterbuch als solche abstrahlen sollte. Erst im 20. Jahrhundert verliert sich diese normative Kraft des Wörterbuchs allmählich wieder. Und der Impuls zum Bruch mit Normen, zum Regelverstoß und zur Grenzüberschreitung führt bei Angehörigen verschiedener avantgardistischer Strömungen nun gerade zum kritischen – dabei aber auch wieder produktiven Schreiben gegen das Wörterbuch: zum Verstoß gegen die in ihm festgeschriebenen Konventionen, zu seiner Erweiterung um Neologismen, zu seiner Transformation und Verfremdung. Sich eine eigene Sprache zu erfinden, ein neues Vokabular oder eine neue Grammatik zu erproben, erscheint in den Selbstbeschreibungen von Dadaisten und anderen Avantgardisten vielfach als Inbegriff kreativer Arbeit.

Die Literatur hat sich auf verschiedenen Ebenen mit der Institution des Wörterbuchs und seiner enzyklopädischen Komponente, mit seiner alphabetischen Form und deren Implikationen auseinandergesetzt – mit dem Zusammenspiel von Partikularisierung und Fragmentierung einerseits, dem konstruktiven Charakter von Weltbeschreibungen in Wörterbuchform andererseits. Das Wörterbuch bietet eine Welt in Buchformat – so die vielfach variierte Ausgangsidee.