K.
Kritische Reflexionen über Sprache und Vokabular:
Literarische Texte über Wörterbücher
Jean-Paul Sartre: »Les mots« (»Die Wörter«)

Jean-Paul Sartre erzählt in »Les Mots« von der Faszinationskraft des »Larousse«, der ihm zur Kinderzeit angesichts des ansonsten mageren von der Familienbibliothek repräsentierten Universums alles Fehlende ersetzt habe: Das in Bände gegliederte Universum wird dem kindlichen Leser zum Ort der Begegnung mit der eigentlichen Wirklichkeit, der Essenz der Dinge, mit der verglichen die außerhalb des Wörterbuchs anzutreffenden Objekte selbst derivativ und weniger wirklich erscheinen. Was bei Platon der Ideenkosmos gewesen war – eine Sphäre der Urbilder -, ist hier das illustrierte Wörterbuch. Allerdings lädt dessen letztlich arbiträre Ordnung dazu ein, auch entsprechend wahllos in ihm umherzuschweifen.

»[...] der ›Larousse‹ ersetzte mir alles: ich nahm mir wahllos einen Band vom vorlestzen Regal hinter dem Schreibtisch: A-Bello, Belloc-Ch oder Ci-D, Mele-Po oder Pr-Z (diese Verbindungen von Silben waren Eigennamen geworden, welche die Sektoren des Universalwissens bezeichneten: es gab die Region Ci-D oder die Region Pr bis Z, nebst fauna und Flora, nebst Städten, Schlachten und großen Männern); ich [...] öffnete ihn [den Band], ich hob dort richtige Vögel aus, jagte dort nach richtigen Schmetterlingen, die sich auf richtigen Blumen niedergelassen hatten. Menschen und Tiere waren dort, in Person: die Abbildungen waren der Körper, der Text war ihre Seele, ihre einzigartige Essenz; außerhalb der Zimmerwände traf man auf matte Entwürfe, die sich mehr oder weniger den Archetypen annäherten, ohne deren Vollkommenheit zu erreichen. Die Affen im Zoologischen Garten waren weniger Affe, die Menschen im Luxembourg-Garten waren weniger Mensch. Platoniker meines Zeichens, ging ich den Weg vom Wissen bis zur Sache; ich fand an der Idee mehr Wirklichkeitsgehalt als an der Sache selbst, denn die Idee ergab sich mir zuerst, und sie ergab sich mir wie die sache. Ich habe die Welt in den Büchern kennengelernt: dort war sie assimiliert, klassifiziert, etikettiert, durchdacht, immer noch furchterregend; und ich habe die Unordnung meiner Erfahrungen mit Büchern verwechselt mit dem zufälligen Ablauf wirklicher Ereignisse. Hier entsprang jener Idealismus, den ich erst nach dreißig Jahren von mir abtun konnte.«

(Jean-Paul Sartre: Die Wörter (Orig.: Les Mots, 1964), dt. v. Hans Mayer, Reinbek 1968/1972, 30)