Enzyklopädien phantastischer Wesen, Orte, Welten und Objekte sowie andere parawissenschaftliche bzw. an Formen konventioneller Wissensvermittlung orientierten Werke, die als Forschungsberichte, Sprachlehrbücher, Experimentalbeschreibungen, Landkarten, Statistiken und Graphiken über imaginierte Gegenstände informieren, können als Spielformen der phantastischen Literatur betrachtet werden. Damit steht man als ihr Interpret aber vor der bekannten Schwierigkeit, den Begriff des »Phantastischen« zu bestimmen, die auf ein womöglich noch größeres Problem verweist: auf das der Suche nach Kriterien »realistischer«, »realitätshaltiger« oder »realitätsbezogener« Darstellung. Der Diskurs über das Phantastische erfordert eine reflexive Auseinandersetzung mit der Frage, was die Konstitution einer »Welt« überhaupt voraussetzt und impliziert. Seit der Aufklärungspoetik ist die literarisch-poetische Darstellung als Darstellung einer »möglichen« Welt charakterisiert worden. Daß die Produktivität der Phantasie bei der Erzeugung von möglichen Welten sich nicht auf die ästhetische Tätigkeit im engeren Sinn eingrenzen läßt, sondern als anthropologische Konstante betrachtet werden kann, läßt den Entwurf solcher Welten in der Literatur und Kunst zum Modellfall werden, in dem sich Prozesse der Konstitution von »Welten« bespiegeln – insbesondere unter Akzentuierung der Bedeutung, die sprachliche, visuelle, lexikalische und andere Darstellungsstrategien dabei besitzen.
Die Grenze zwischen dem, was als möglich, und dem, was als unmöglich gilt, ist keine absolute Grenze, sondern historisch und kulturell variabel. Für Umberto Eco sind mögliche Welten »kulturelle Konstrukte«, und er stellt klar, daß die Betrachtung der möglichen Welt als Konstrukt impliziert, daß sie nicht mit den »linearen Manifestationen« des sie beschreibenden Textes gleichgesetzt werden dürfen; dieser Text ist eine »sprachliche Strategie«, die es auf eine Interpretation durch den Leser anlegt, und diese Interpretation stellt dadurch, daß sie zum Ausdruck kommt, die mögliche Welt dar. Da die sogenannte wirkliche Welt nach analogen Prinzipien gestaltet ist wie die sogenannten möglichen Welten – insbesondere mit Blick auf die tragende Bedeutung narrativer Strukturen – läßt sich die wirkliche Welt als mögliche Welt beschreiben. Eco hält an der Differenz zwischen (»nur«) möglicher und wirklicher Welt allerdings fest. Dies erscheint solange plausibel, als man sich mit seinen Beispielen für die Tatsachen der »wirklichen« Welt auf dem Boden des allgemeinen Konsenses befindet – wie es bei Eco der Fall ist. Über die Frage, ob Napoleon auf St. Helena starb, diese Tatsache also der wirklichen Welt angehört, wird man sich nicht streiten, und auch nicht darüber, daß Pinocchio eine erfundene Figur ist. Aber wie steht es um Figuren, von denen man nicht weiß, ob es sie gibt oder gab?