Das Buch, die Bücher, die Schrift und die Literatur stehen im thematischen Zentrum von Borges’ Werk. Ein anderes, damit eng verwandtes Thema ist das Imaginäre, insofern es an die sogenannte Wirklichkeit angrenzt, sie durchdringt und von ihr ununterscheidbar ist. Insofern ist es nur konsequent, wenn Borges wiederholt über imaginäre Bücher, Texte, Schriften schreibt. Die Häufigkeit und der Einfallsreichtum, mit denen Borges bei seinen Darstellungen imaginärer Bücher und Autoren vorgeht, hat bewirkt, daß er als ›Erfinder‹ der literarischen Gattung der fiktiven Buchbesprechung bezeichnet wurde, obwohl er selbst auf allerlei Vorläufer zurückblickte (und zurückgegriffen hat). Italo Calvino liefert auch gleich eine hypothetische Erklärung für die Kultivierung dieser Schreibweise durch Borges: Dieser habe damit eine eigene Schreibblockade überwunden.
Borges akzentuiert in seinen Bemerkungen über die eigenen Pseudo-Kommentare imaginärer Texte seine Motive anders, wenn auch ähnlich: er habe sich der Mühsal entziehen wollen, lange Werke zu schaffen und darum in deren (Pseudo-)Kommentaren die entscheidenden Ideen in kurzer Form untergebracht.
Diese Erklärung klingt ein wenig vordergründig. Es liegt nahe, andere Motive für Borges’ Experimente mit dem Porträtieren fiktiver Autoren, der Beschreibung fiktiver Werke zu erwägen. Interessant ist es in diesem Zusammenhang, daß auch Borges (wie später Barthes und Foucault) die Idee der persönlichen Autorschaft kritisch reflektiert. Im einzelnen Autor repräsentiert ist »die Literatur«. Warum sollte sich da nicht ein Autor die Werke anderer Autoren ausdenken.
»Der Weg zu Almotasim« (Pseudo-Rezension)
Der Text besteht aus der Beschreibung und Kommentierung eines von Borges fingierten Kriminalromans mit dem Titel »Der Weg zu Almotasim«, den der Advokat Mir Bahadur Ali aus Bombay erstmals Ende 1932 in Bombay veröffentlicht haben soll, von dem aber eine andere Fassung von 1934 existiert. Die ›Rezension‹ zitiert und kommentiert dabei andere (angebliche) Rezensenten. Die Rezension geht ausführlich auf Inhalte und Strukturen des hochkomplexen, labyrinthischen, stark intertextuell vernetzten Werks ein. Der Roman hat nie existiert, aber der Borges-Text ist so verfaßt, als gebe es diesen Roman.
»Untersuchung des Werkes von Herbert Quain«
Herbert Quain ist ein von Borges erfundener Autor, dem verschiedene Werke zugeschrieben werden, die Borges in seiner Erzählung beschreibt. Mehrfach hat Quain mit labyrinthförmigen Romanen experimentiert, deren Handlung sich in mehrere alternative Verläufe verzweigt.
Auch Herbert Quain hat nie existiert, aber Borges porträtiert ihn, als gebe es sein Werk oder als habe es dieses doch wenigstens einmal gegeben. In diesem Text verwendet er auch schon die Listenform; er schreibt Quain mehrere Werke zu, die nacheinander skizziert werden.