T.
Tlön und seine Enzyklopädien
Abscheuliche Multiplikationen

Es beginnt mit einem Gespräch über ein Buch: Der Erzähler (»Borges«, aber in Anführungszeichen; es handelt sich um eine literarische Figur) hat sich mit seinem Freund Bioy Casares anläßlich der Betrachtung eines Spiegels über die manchmal schauerlichen Effekte von Spiegeln unterhalten. Bioy Casares hat sich daraufhin an ein Zitat besonnen, das die Spiegel betraf – es lautete: »die Spiegel und die Paarung seien abscheulich, weil sie die Zahl der Menschen vervielfachen« (Tlön, 93; »[...] los espejos y la cópula son abominables, porque multiplican el número de los hombres«, Tlön, Uqbar, Orbis Tertius, 13), und soll von einem »der Häresiarchen von Uqbar« stammen. Auf die Frage, woher er diesen Ausspruch kenne, entgegnet Bioy Casares, er habe ihn im Artikel »Uqbar« der »Anglo-American Cyclopedia« gelesen.

Bis zu dieser Stelle enthält der Text der Erzählung schon eine ganze Reihe von Merk- und Denkwürdigkeiten, welche allesamt im Zeichen der Aufhebung der Grenze zwischen Realem und Fiktivem stehen. Das hier erzählte Gespräch ist fingiert. Allerdings sind die Teilnehmer des Gesprächs nicht einfach auf der Seite der »Fiktion« zu verbuchen, denn den Schriftsteller Bioy Casares (geb. 1914) gibt es (wie man so sagt) »wirklich«, und er ist Borges Freund, mit dem zusammen er mehrere Gemeinschaftswerke verfaßt hat. Dies und andere spätere Indizien legen es nahe, dem Erzähler-Ich den Namen Borges zu geben. (Was natürlich nichts mit einer naiven »Identifikation« des Erzählers mit dem Autor zu tun haben darf.) Die beiden Akteure der Rahmengeschichte haben also einen merkwürdigen Status zwischen dem Realen und dem Fiktiven, und dasselbe gilt für die Bücher, über die sie sprechen. Die »Anglo-American Cyclopedia«, zu der Erscheinungsort und -jahr angegeben werden (New York 1917) wird charakterisiert als ein wortgetreuer, nur etwas schlampiger Nachdruck der »Encyclopedia Britannica« von 1902 – und die gibt es ja ebenfalls »wirklich«. Die nachgedruckte Enzyklopädie, von der im Text die Rede ist, besitzt also in der sogenannten Realität ein Double, das der Borges-Leser prinzipiell konsultieren könnte, wenn er, neugierig geworden, an dieser Stelle auf die Idee verfallen sollte, etwas über »Uqbar« zu erfahren.