T.
Tlön und seine Enzyklopädien
Suche nach Uqbar

Die beiden Männer in der Geschichte nehmen nun selbst denjenigen Band der Anglo-Amerikanischen Enzyklopädie zur Hand, der entsprechend der alphabetischen Ordnung den Uqbar-Artikel enthalten müßte. Doch sie finden den (von Bioy Casares ja bis auf den Wortlaut erinnerten) Artikel nicht. Auch auf der Ebene der textimmanenten Fiktion also gibt es offenbar keine klare Grenze zwischen »Wirklichem« und »Imaginiertem«. Zunächst bleibt die Suche nach dem Uqbar-Artikel ergebnislos, und der Erzähler mutmaßt, Bioy Casares habe sowohl den Häresiarchen als auch Uqbar nur erfunden, um dem Diktum über die abscheulichen Spiegel ein fingiertes Fundament zu verschaffen – zumal da ein ebenfalls konsultierter Weltatlas das Land Uqbar auch nicht verzeichnet. Doch am Tag darauf erhält er von dem inzwischen nach Buenos Aires zurückgekehrten Bioy Casares einen Anruf, in dem dieser ihm mitteilt, der Artikel sei gefunden, und zwar in seinem eigenen Band der Anglo-Amerikanischen Enzyklopädie. Ein Vergleich dieses Exemplars mit dem zuvor benutzten Band ergibt, daß der vierseitige Artikel tatsächlich nur in dem einen Exemplar, in Bioy Casares’ Band, auftaucht; er ist in dessen Index nicht verzeichnet, und so sind die beiden Bücher einander sonst ganz gleich – eben wie zwei Exemplare eines und desselben Werkes. Wie Bioy Casares’ Exemplar zu seinem Zusatz kam, bleibt rätselhaft.

Der Inhalt des Uqbar-Artikels wird nun referiert und kommentiert; er enthält geographische und historische Informationen über ein Land namens »Uqbar«. Die bibliographischen Angaben nennen Bücher, welche Borges und Bioy Casares aber nicht auftreiben können, obwohl eines von ihnen immerhin im Katalog einer Buchhandlung geführt wird (was den Rückschluß auf seine Existenz nahelegt). Zu dessen Verfasser macht eine Fußnote nähere Angaben. Ein Abschnitt der Beschreibung des rätselhaften Landes ist dessen Sprache und Literatur gewidmet. Die Literatur wird dabei als durchgängig »phantastisch« charakterisiert, und zwar mit der Begründung, die Epen und Legenden von Uqbar bezögen sich nie auf die »Wirklichkeit«, »sondern auf die beiden Phantasiereiche Mlejnas und Tlön« (Tlön; 95; »[...] sino a las dos regiones imaginarias de Mlejnas y de Tlön«; Tlön, Uqbar, Orbis Tertius, 16). Als Historiograph von Uqbar wird Johann Valentinus Andreae angeführt, den es »wirklich« gab, der sich aber vor allem dadurch auszeichnete (wie man erfährt), daß er einen imaginären Orden (die Rosenkreuzer) erfunden habe, welcher dann später von anderen tatsächlich gegründet worden sei, »indem sie seinen vorausschauenden Entwurf nachahmten« (Tlön, 96). Fiktion geht der Realität begründend voraus – so das Modell.