Das Lebensbuch-Konzept besitzt zwar ursprünglich eine enge Affinität zu eschatologischen Vorstellungen; es löst sich aber allmählich von der Vorstellung einer schriftlich fixierten Prädestination ab – und verwandelt sich in die Vorstellung eines Protokollbuchs, eines Registers der guten oder bösen Handlungen, für die man sich vor dem Letzten Gericht verantworten muß. Ein ›enzyklopädisches‹ Buch über den einzelnen Menschen wird demnach am Ende aller Zeiten zu seiner Aburteilung herangezogen.
Durch einen himmlischen Text erfaßt zu sein, ist sowohl im Sinn der Prädestination als auch im Sinne der Verantwortlichkeit von zwischen Gut und Böse entscheidenden Menschen die Bedingung dafür, daß das einzelne menschliche Leben etwas gilt, daß die Erinnerung an den Einzelnen über seine Lebenszeit hinweg bis zum Ende der Geschichte selbst bestehen bleibt. (Vor allem das Christentum greift die Idee einer Aburteilung nach schriftlichem Zeugnis auf. Thomas von Celanos »Dies irae« bietet das wohl bekannteste Beispiel.)