X.
Das unbekannte Ich als Gegenstand biographischer und autobiographischer Enzyklopädien und Lexika
Lebens-Bücher und Gericht

Das Lebensbuch-Konzept besitzt zwar ursprünglich eine enge Affinität zu eschatologi­schen Vorstellungen; es löst sich aber allmählich von der Vorstellung einer schriftlich fixierten Prädestination ab – und verwandelt sich in die Vorstellung eines Protokollbuchs, eines Registers der guten oder bösen Handlungen, für die man sich vor dem Letzten Gericht verantworten muß. Ein ›enzyklopädisches‹ Buch über den einzelnen Menschen wird demnach am Ende aller Zeiten zu seiner Abur­teilung herangezo­gen.

Durch einen himmlischen Text erfaßt zu sein, ist sowohl im Sinn der Prädestination als auch im Sinne der Verantwortlichkeit von zwischen Gut und Böse entscheidenden Menschen die Bedingung dafür, daß das einzelne menschliche Le­ben etwas gilt, daß die Erin­nerung an den Einzelnen über seine Lebenszeit hin­weg bis zum Ende der Ge­schichte selbst bestehen bleibt. (Vor allem das Christentum greift die Idee einer Aburteilung nach schriftlichem Zeugnis auf. Thomas von Celanos »Dies irae« bietet das wohl bekannteste Beispiel.)