X.
Das unbekannte Ich als Gegenstand biographischer und autobiographischer Enzyklopädien und Lexika
(1) Roland Barthes: Le plaisir du texte (1973)

Als Themen des Buchs bestimmbar sind die Welt der Texte, das Schreiben – insbesondere das literarische –, das Lesen, die Beziehung des Lesers zu seinen Lektüren, die Funktion der Idee des »Autors« (die Barthes demontiert), die Grenzenlosigkeit des Textes, die Subversivität von (literarischen) Texten.

In die Sprache einer jeden Gemeinschaft sind laut Barthes deren Machtstrukturen eingeschrieben, und wer immer diese Sprache gebraucht, ist davon kontaminiert. Ideologien produzieren ihre jeweils spezifischen Schreibweisen. Barthes’ Schrift »Le degré zéro de l’écriture« widmet sich im Ausgang von dieser Annahme der brisanten Frage nach der Möglichkeit einer ›freien‹ Sprache, welche Bedingung der Freiheit des Sprachbenutzers wäre. Trotz eines durchgängig skeptischen Grundtons erörtert Barthes das utopische Konzept einer solchen ›écriture blanche‹ – einer Schreibweise, die nicht den Anforderungen einer gesellschaftlichen Klasse und ihren Machtansprüchen subordiniert wäre, sondern die Möglichkeit böte, sozialen Zwängen zu entkommen und sich künstlerisch über diese zu erheben. Der Begriff ›Ècriture‹ bringt die Prägung des Sprachgebrauchs durch Hierarchien und Normen ebenso zum Ausdruck wie die Möglichkeit deren Überschreitung. Für Barthes bezeichnet der Begriff ›écriture‹ insofern vor allem die differenziale Qualität des jeweiligen Textes – das, was er an ›Bewegung‹ in die Zeichen bringt. Literatur unterläuft Regeln des Sprachgebrauchs und des an diesen gebundenen Verhaltens, destabilisiert Begriffe und wird so bezogen auf normierte Kommunikation wie auf andere Funktionalisierungen der Wörter zum Schauplatz der ›Differenz‹.

Dazu Kilcher über »Le plaisir du texte«: »Auf den ersten Blick erscheint der Text zwar als willkürliche Aneinanderreihung von Bausteinen zu einer Theorie des Textes bzw. des Lesens. Eine Ordnung wird allerdings erkennbar, nimmt man das Inhaltsverzeichnis am Ende des Büchleins zur Kenntnis. Was hier wie Kapitelüberschriften erscheint, erweist sich als ein alphabetisch geordnetes Register von Begriffen, von ›affirmation‹ und ›babel‹ bis ›valeur‹ und ›voix‹. Die alphabetische Anordnung der Theoriebausteine ist allerdings verdeckt, da die Begriffe des Inhaltsverzeichnisses im Text nicht als Kapitelüberschriften in Erscheinung treten, sondern nur im registerartigen Index. Was Barthes dann in seinem zweiten alphabetischen Text, ›Roland Barthes par Roland Barthes‹, für die Autobiographie deutlich macht, gilt schon für ›Le plaisir du texte‹«. (Kilcher 2003, 199)