C.
Chasaren und Lexikographen –
Milorad Pavić: »Das Chasarische Wörterbuch« (Hazarski Recnik), 1984
Die Ringparabel bei Lessing als Reflexion über Wahrheit

Nathans Erzählung bildet selbst einen Teil jenes Prozesses, in dem sich Wahrheit offenbart; sie ist selbst ein Handeln, das den Weg für ein Handeln bereitet, wie es der Richter fordert. So klar die Spiegelungsbeziehung zwischen der Geschichte der drei Ringe und der Auseinandersetzung um die drei Religionen im »Nathan« zutage tritt, so subversiv ist doch, gemessen am Selbstverständnis der drei Religionen als Offenbarungsreligionen die programmatische Idee, daß die Wahrheit des Ererbten erst durch gutes Handeln realisiert werden müsse; läuft sie doch auf die These hinaus, daß mit den jeweiligen religiösen Lehren und ihren Gesetzen zwar ein Anstoß zu gutem Handeln vererbt worden sei, mehr aber auch nicht, – auf die These, das in der Geschichte der Menschen wirksame Gute komme nicht von Gott, sondern sei etwas, daß der Mensch selbst als historisches Wesen handelnd erzeugen müsse. (Steckt hierin schon genug anti-orthodoxer Sprengstoff, so gibt die Lokalisierung dieser Erkenntnis in einer Zeit nach dem Tod des Vaters zusätzlich zu denken.) Daß die Parabel als eine Erzählung Nathans Gestalt annimmt, mit welcher dieser etwas bewirkt, und daß die Lehren des Richters als ein sprachliches Handeln modelliert werden, mit welchem gleichsam performativ ein Streitfall durch rhetorische Mittel in eine welthistorische Perspektive eingerückt wird, läßt darauf schließen, daß das sprachliche Handeln in der von Lessing modellierten Geschichte des handelnden Menschen einen besonderen Stellenwert besitzt.