Pseudo-paratextuelle Hinweise und Verständnishilfen gelten auch den Bildern – so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Mehrfach verheißt Tranchirer seinem Publikum ein illustriertes Kompendium, dessen Nützlichkeit durch die Ergänzung der Texte um Bilder entscheidend gehoben werde; er suggeriert dabei, was für bebilderte Lexika und Enzyklopädien selbstverständlich erscheint: daß die Bilder den Text stützen, erläutern, verdeutlichen – und das heißt: daß sie in seinem Dienst stehen und entsprechend ihrer illustrativen Funktion ausgewählt bzw. angefertigt wurden. So heißt es in der »Nachbemerkung« zur »Welt- und Wirklichkeitslehre«:
Auf die sorgfältige Auswahl seiner Abbildungen hält sich der Lexikograph vieles zugute, wobei er – eigenem Bekunden nach – insofern Selbstzensur übt, als er auf Empfindlichkeiten seiner Leserschaft Rücksicht nimmt:
Auch in den Artikeln selbst werden vielfach Abbildungen erwähnt und ihre Aussagekraft betont. Beim Versuch allerdings, Tranchirers Bemerkungen über seine Illustrationen zu verifizieren, erlebt der Leser manche Überraschung: Vielfach wird auf Abbildungen Bezug genommen, die überhaupt nicht existieren, so etwa in den »Mittelungen für Ratlose« anläßlich des Lemmas »Gegenstände«, wo kurioserweise eine Abbildung zum Beleg dafür deklariert wird, daß der Ratgeber hemmungslos über alles spricht; tatsächlich bleibt es beim Sprechen, denn der Text steht für sich allein.
Obwohl mehrfach von Beobachtungen die Rede ist und die geschilderten Ereignisse sich leicht visualisieren ließen, bekommen wir nichts zu sehen. Auf keiner benachbarten Abbildung ist etwas zu sehen, das dem Beschriebenen entspricht – was zum Thema »Bewegung der Welt« allerdings passen mag: Sollte sich das Bild entfernt haben?
Ein ähnliches Beispiel findet sich – stellvertretend für andere – in der »Welt- & Wirklichkeitslehre« anläßlich des gewichtigen Stichwortes »Wirklichkeit«:
Zu diesem Artikel – der doch so anschaulich von Beobachtbarem spricht – gibt es wiederum keine Illustration, auch wenn von einer ›besonders gelungenen‹ bildlichen Darstellung die Rede ist. In gewissem Sinn ersetzt die Beschreibung das abwesende Bild, nennt sie doch konkrete Details des angeblich Abgebildeten. Zudem erzählt der Artikel den Nukleus einer Geschichte, die eine hypothetische Erklärung für die Unsichtbarkeit der fünf Männer bieten könnte: Sollten diese sich gegenseitig so gründlich von der Bildfläche verdrängt haben, daß jetzt gar nichts mehr von ihnen zu sehen ist? Dann allerdings müßten sie als Figuren auf einem Bild noch aktiv gewesen sein, nachdem Tranchirer seinen Kommentar bereits geschrieben hatte.
Verbale und visuelle Darstellungen stehen nicht im Verhältnis wechselseitiger Erläuterung, und zwischen ihnen besteht kein hierarchisches Verhältnis – weder dienen die Bilder als Illustrationen dem Text noch die Texte als Bildlegenden dem Verständnis der Bilder. Stattdessen scheinen Texte und Graphiken in einem spielerischen Spannungsbezug zu stehen, der durch Strategien des Sich-Entziehens, des Widerstandes, der Verunklärung erzeugt wird. Wo Texte wortreich über Bilder oder Bildmotive sprechen, da scheinen diese eigenwilligerweise verschwunden zu sein, und wo Bilder von rätselhaften Räumen und Situationen nach einer Deutungshilfe zu verlangen scheinen, da ergehen sich die benachbarten Texte mit scheinbarer Beflissenheit über ganz und gar anderes.
Während die konventionelle Funktion von Bildern zu einer sachbezogenen sprachlichen Darstellung (wie einem Lexikon- oder Handbuchartikel) als Ergänzung, Verdeutlichung und visualisierenden Erläuterung charakterisiert werden könnte, spielt Tranchirer gerade mit diesen Relationen und verkehrt sie ebenso gründlich ins Gegenteil wie das ›enzyklopädische‹ Projekt als solches. Betrachtet man vergleichend die einzelnen Teile von Tranchirers mehrbändiger Enzyklopädie, so enthüllen sich an konkreten Beispielen diverse Strategien der Destabilisierung von Text-Bild-Bezügen.