Auch in den »Bemerkungen über die Stille« (2005) bleibt Tranchirer bei seinem Kompositionsprinzip: Er kombiniert Texte und Bilder, die ihrerseits aus heterogenen Elementen bestehen. Wiederum kommt es zur Neuverwendung von Bildelementen, die bereits aus früheren Ratgeber-Bänden bekannt und hier zu neuen Collagen gefügt worden sind. So trifft der Leser neuerlich auf einen Fischschwarm, der in der »Welt- und Wirklichkeitslehre« bereits an einer knienden Frauenfigur vorbei durch eine Kirche schwebte (Welt- & Wirklichkeitslehre, 153), und der nun gemeinsam mit Möwen den Strand vor einer exotischen Stadt überfliegt (Bemerkungen, 87). Neue Bild-Materialien stammen vor allem aus Reiseführern und ethnographischen Darstellungen (vgl. etwa Bemerkungen, 85 und 86).
Die Artikel wirken in sich geschlossener als die früherer Bände, wie kleine erratische Blöcke aus Auskünften über eine merkwürdige Welt, nach deren Zusammenhang zu suchen niemand mehr den Mut aufbringen wird. Sicher hat der Titel des Buches entscheidenden Anteil an der Suggestion, Tranchirer setze sich schreibend mit der »Stille« auseinander. Aber auch das Layout des Bandes hat daran maßgeblichen Anteil: Im »Ratschläger« drängten sich noch viele Artikel auf eher engem Raum; die Seiten enthielten fast immer mehrere Artikel; redselig suggerierte Tranchirer, er ziehe das ausgebreitete Wissen aus einem schier unerschöpflichen Fundus an Informationen, und reihte entsprechend einen Artikel dicht an den anderen. In den »Bemerkungen« stehen sie Artikel oft allein auf der jeweiligen Seite – wie Nachrichten, die dem Verstummen abgerungen sind, wie Botschaften aus einer Welt, die vom Wort nicht ausgelotet werden kann. Durch die Suggestion des Fragmentarischen, durch den Eindruck einer dem Schweigen und der Unbeschreiblichkeit abgerungenen Serie von Gedanken und Beobachtungen ändern sich nicht zuletzt die Beziehungen der Texte zu den sie begleitenden Bildern. Auch die Bilder scheinen auf ihre Weise von der Stille, dem Schweigen zu künden, das sich zwischen den einzelnen Mitteilungen breitmacht.
Gesten der Selbst-Relativierung und Selbstzurücknahmen prägen diverse Artikel mit auffälligem Nachdruck, etwa in den Informationen über ein merkwürdiges Tier, die sich abschließend mit paradoxaler Wendung für mehr oder weniger überflüssig erklären:
Die hier vollzogene ›Verkehrung‹ der konventionellen Textgattung Lexikonartikel durch Zurücknahme des Informationsanspruchs findet auf visueller Ebene ein interessantes Pendant, auch wenn – erwartungsgemäß – keine Illustration zum ›Madenhacker‹ geboten wird: Zugeordnet ist diesem Artikel eine Collage, auf der im Vordergrund zwei Fledermäuse zu sehen sind, deren Haltung der hängender Exemplare entspricht, die aber umgedreht wurde und nun zu sitzen scheinen (Bemerkungen, 63).
In einem anderen Artikel wird die erwartbare Information über etwas für den Lexikographen letztlich Undarstellbares konsequent auf später vertagt. Tranchirer bewegt sich schreibend auf etwas zu, das er eingestandenermaßen gar nicht im Griff hat und entwirft eine Skizze zu einem künftigen Artikel statt diesen selbst zu bieten.
Dem vertagenden Gestus des Artikels entsprechend bleibt er unbebildert.