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Verrätseltes, Verfremdetes, Verborgenes, Verzerrtes, Verfremdetes: Ror Wolfs poetische Ratgeberbücher
Sprachliche Raster über einem Abgrund von Unfasslichem

Die Artikel sind dem Grundgestus nach beschreibend wie konventionelle Lexikonartikel (wobei erzählerische und reflexive Anteile integriert sind). Sie suggerieren (metaphorisch gesagt), daß sich Wörter, Sätze, sprachliche Darstellungen wie ein Gitter oder Raster über Unfaßliches und Dunkles legen, um Blicke auf dieses zu ermöglichen. Entscheidend sind – der Logik dieser Metapher zufolge – die Zwischenräume der Mitteilungen. Solche ›Zwischenräume‹ der Darstellung werden geschaffen durch Andeutungen, Hinweise, Umschreibungen und Strategien negativer Darstellung. Mit der Sprache lässt sich nämlich nicht so einfach umgehen, wie mancher glaubt.

Welt- & Wirklichkeitslehre, 131f. »Sprache. Die Sprache dient bekanntlich zur Mitteilung von Gedanken. Wenn ich einem Menschen meine Gedanken mitteilen will, dann spreche ich zu ihm, das heißt, ich bringe Laute hervor, mit denen der Angesprochene denselben Sinn verbindet wie ich. Es ist bei den eigentümlich scharfen Ansichten, die man zuweilen über den uneingeschränkten Wert der Musik hört, möglich, daß wir die Worte, das Reden, das Benutzen von Worten in der verhältnismäßig ruhigen Welt, also das gesprochene Wort, zu unterschätzen beginnen. Wobser zum Beispiel behauptet in seiner Ansprache über die Worte: Die Worte sind erschöpft und ausgeblutet; nur noch die Leichen der Worte sind zurückgeblieben, ihre ausgedrückten Strünke. – Lemm findet eher, daß man die Worte in weiche Pelze gehüllt hat, so daß man sie nicht mehr fallen hört, nicht mehr herabfallen oder aufprallen hört. In MEINER Schrift Die allgemeinen Verhältnisse der Worte in der Welt, in der ich mich vor allem mit den Unarten der Worte beschäftigt habe, mit ihrer Verdorbenheit und Fäulnis, habe ich zum Ausdruck gebracht, daß vor allem ein Wort in der Gegenwart an Bedeutung verliert. Dieses Wort ist sehr kurz, es reicht bei weitem nicht aus für ein ganzes Leben, das ja bekanntlich recht lang ist; und obwohl es ein großes Wort ist, muß man sagen: das Leben ist noch viel größer; immerhin ist es ein schweres Wort, seine Kraft und Dicke ist beträchtlich; ich meine, man muß dieses Wort einfach aufschneiden, dann wird das Leben aus ihm herausfließen und meine Meinung bestätigen.«

Angesichts der Komplikationen im Umgang mit Sprache mag es manchmal reizvoll sein, einfach nichts zu sagen.

Welt- & Wirklichkeitslehre, 112: »Nichts. Nichts ist das Gegenteil von Etwas. So wie das Loch das Gegenteil von etwas anderem ist, das wir jetzt nicht beschreiben müssen. Nichts ist das Loch in den Worten. Öffnen Sie den Mund so weit wie möglich, vergessen Sie nicht, sich Mühe zu geben, ihn ganz aufzumachen, und nun sagen Sie NICHTS.«