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Verrätseltes, Verfremdetes, Verborgenes, Verzerrtes, Verfremdetes: Ror Wolfs poetische Ratgeberbücher
Einige Bilanzen

Einige Bilanzen:

  • Die alphabetisch aufgebauten Ratgeberbücher Ror Wolfs – ein besonders großangelegtes Projekt lexikographischer Literatur – stellen eine besonders eigenständige und innovatorische Nutzung der Lexikonform dar.
  • Sie nehmen Bezug auf die Form des Konversationslexikons als einen Spezialfall von Lexikographik. Die Ratgeberbücher sind Parodien des Konversationslexikons. Das Konversationslexikon bildet eine Schnittstelle zwischen wissenschaftlich konstituiertem Wissen und gesellschaftlicher Praxis. Es markiert die Stelle, wo Wissen in den Alltagsdiskurs überführt wird und zur Lebensgestaltung beiträgt.
  • Konversation gehört zur bürgerlichen Gesellschaft hinzu, dient ihrer Selbstdarstellung und konsolidiert sie. Aber nicht alle Gegenstände sind als Konversationsgegenstände zugelassen. Gerade am Phänomen der geselligen Konversation zeigt sich, daß Verdrängung ein konstitutives Moment in gesellschaftlichen (Selbst-)Darstellungspraktiken darstellt. Tranchirer reagiert darauf mit einer ständigen Betonung des Verdrängten, Verstößen gegen Sprachtabus, Betonungen des normalerweise Verschwiegenen oder Beschönigten – mit Lust am Abgründigen. Typisch für seinen Stil sind u.a.
  • kritische (parodistische und reflexive) Auseinandersetzungen mit sprachlichem ›Wohlverhalten‹,
  • kritische (parodistische und reflexive) Auseinandersetzungen mit Form- und Ordnungsvorstellungen,
  • Akzentuierungen der Sprech- und Verbalisierungsprozesse selbst.
  • Die Ratgeberbücher sind ein meta-poetisches (Literatur reflektierendes, selbstreflexives) Unternehmen. Mit diesem geht es, allgemein gesagt, um die Beziehung zwischen Worten und Wirklichkeit. (Man könnte metaphorisch von dem Versuch sprechen, das Dunkel der Dinge in einem Abgrund sprachlich wie mit den Lichtkegeln von Taschenlampen zu beleuchten. Es kommt zur temeporären Konturierung von rätselhaften und monströsen Erscheinungen. Entdeckt werden u.a. die Monster, die wir selber sind.)
  • Die sprachliche und die alphabetische Ordnung (ABC-Folge, Wortschatz, Grammatik, Syntax) werden als Ordnungssysteme verwendet, die dem Unfaßlichen der Dinge selbst nicht gerecht werden. Der Versuch, ihnen das Äußerste abzugewinnen, zeigt sich in neuen Vokabeln (also neologistischen Erweiterungen des Wortschatzes), in komplexen syntaktischen Strukturen, in vielfältigen Reflexionen über die eigene sprachliche Verfahrensweise (inbegriffen Hinweise auf die alphabetische Ordnung).
  • Eine Serie von rezenten Büchern Ror Wolfs setzt das Projekt fort; diese sind nicht mehr alphabetisch aufgebaut.
  • ›Tranchirers‹ Projekt gilt der Auseinandersetzung mit Verstörendem, Unbegreiflichem, Unbegrifflichem, Nicht-zu-Ordnendem, ›Monströsem‹ – einer Auseinandersetzung, die als ein Ringen des (fiktiven) engagierten Lexikographen mit seiner Aufgabe inszeniert wird.
  • Unter den Gegenständen, die beschrieben oder umschrieben werden, sind vor allem menschliche Körper und Körperteile; der Körper wird bespiegelt als etwas, das sich dem Verstehen widersetzt und oft monströs wirkt. Die Ratgeberbücher enthalten u.a. (verstreut) eine Kollektion des Monströsen, zu dem menschliche Körperteile und Verhaltensweisen maßgeblich beitragen.
  • Die sprachliche Tätigkeit erscheint als Auseinandersetzung mit Abgründigem; daraus resultieren Strategien der Beschreibung monströser Dinge und Tatbestände – die durch Sprache zutage treten:
  • Strategien der Nicht-Beschreibung – Versagen und Rückzug der Sprache
  • Selbstbezügliches Sprechen bzw. Schreiben: Reflexionen über das eigene Tun als Orientierungsversuche
  • Zwischenräume, Brüche, Leerstellen als indirekte Hinweise auf Unfaßbares, Unwißbares.